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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vollkommen egal war, wenn ihr Vater sich als kleiner Autodieb entpuppte, der sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlug; aber vor allem eine Zwölfjährige, die er ins Herz geschlossen hatte, wie man es für gewöhnlich nur mit seinem eigenen Fleisch und Blut tat, obwohl er sie erst ein paar Tage kannte. Es mochte kitschig sein, und es war in jedem Fall vollkommen übertrieben und unangemessen, aber er spürte, wie ihm Tränen der Rührung in die Augen traten, als er an das blasse Gesicht und den manchmal ängstlichen, manchmal kummervollen, manchmal rotzfrechen Ausdruck dachte, mit dem ihn Duffy angesehen hatte.
    »Familie kann einem gegeben, Familie kann einem aber auch wieder genommen werden.«
    Georgs Worte holten ihn mit brutaler Wucht in die Wirklichkeit zurück. Will starrte ihn unter einem Tränenschleier heraus an, versuchte ihn wegzublinzeln, versuchte die Energie zu nutzen, die ihn plötzlich durchströmte, die Wut, die in ihm explosionsartig hochschoss, um sich hochzustemmen, um Georg zu packen, um ihn gegen die Wand zu schleudern und so lange mit den Fäusten zu bearbeiten, bis er zusammenbrach und ihn anflehte aufzuhören und ihm Duffys Entführung nicht übel zu nehmen und dass er alles wieder gutmachen wollte und natürlich als Erstes sofort Duffy und ihn selbst freilassen würde …
    Alles, was er zustande brachte, war ein halblautes Schluchzen, das von den Wänden widerhallte, als wollte es ihn verspotten.
    Natürlich meinte Georg mit Familie Duffy und niemanden sonst. Will hatte ihm nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen.
    Die Kälte floss jetzt im gleichen Maße in Wills Körper, wie er sich seiner hoffnungslosen Lage bewusst war und seine Körperwärme entwich. Es war mehr als nur die Begleiterscheinung einer schweren Verletzung, es war der Auftakt zu einem Kampf, den er nicht gegen Georg, sondern gegen seinen eigenen Körper führen musste. Voll Verzweiflung wurde ihm klar, was gerade passierte: Blut war ein warmer Saft, aber nur solange er in einem Körper pulste oder aus ihm herauspulste, danach kühlte er sich auf Umgebungstemperatur ab und gerann. Will spürte bereits die Veränderung um ihn herum, es war, als griffe der abgekühlte, seiner eigentlichen Kraft beraubte Lebenssaft nach ihm und versuche ihn festzuhalten. Obwohl er alles versuchte, um die Gedanken an das Schreckliche zu verdrängen, das gerade um ihn herum stattfand, konnte er sich der Vorstellung nicht erwehren, in nur wenigen Minuten wie Sülze in Gelatine in einem See aus geronnenem Blut gefangen zu sein.
    »Ich sage es ja nur ungern, und es mag auch unserem Weltbild von freier Individualität widersprechen«, fuhr Georg fort, »aber am Anfang der Zeit, zu Beginn der Menschwerdung, haben sich Sippen zusammengefunden, die noch heute, nach vielen Tausenden von Jahren, einen starken inneren Zusammenhalt haben. Zumindest dann, wenn es irgendetwas gab, was sie über all die Zeit hinweg zusammengeschmiedet hat.«
    »Und das ausgerechnet … aus deinem … Mund …«, sagte Will mühsam. Er kämpfte den harten Kloß zurück, der sich in seiner Kehle eingenistet hatte, und schluckte hart, bevor er herausbrachte: »Ich wusste gar nicht, dass du so auf Familie machst.«
    »Familie ist das falsche Wort«, sagte Georg gleichgültig. »Es geht um Familienbande. Und um die Frage, inwieweit sie schaden oder nutzen.«
    »Darum geht es doch … wohl den meisten.« Will war in Gedanken nicht bei dem Gespräch, das ihm Georg aufdrängte, warum auch immer. Er begann mit den Fingern der rechten Hand vorsichtig in der erstarrenden roten Suppe zu tasten, bemüht, Georg nicht durch eine zu hektische oder unachtsame Bewegung darauf aufmerksam zu machen.
    Irgendwo musste der Elektroschocker liegen. Er war ihm aus der Hand gefallen, nachdem er Rattengesicht damit durchgebrutzelt hatte. Er konnte ein paar Meter weit geflogen sein, oder Georg konnte ihn mittlerweile an sich gebracht haben. Genauso gut konnte er aber auch direkt neben ihm liegen. Es war auf alle Fälle einen Versuch wert.
    Während er nach der Waffe fingerte, ließ er Georg keinen Moment aus den Augen. Obwohl der Nachtklubbesitzer sehr ruhig und beherrscht wirkte, war er doch in ständiger Bewegung, bewegte die Anne beim Sprechen, drehte den Kopf, federte leicht in den Knien, ließ den Oberkörper vor- und zurückwippen. Es waren keineswegs ungewöhnliche Bewegungen für jemanden, der in recht unbequemer Stellung am Boden hockte, doch hier, in dem Gewölbe, das nur von der

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