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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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seinen Oberkörper, ohne dass er sich dagegen wehren konnte. Sein Knie lag tatsächlich nur einen Hauch von dem Messer entfernt, das in Rattengesichts Bein steckte, aber das war noch nicht alles und bei weitem nicht das Schlimmste. Sein Oberschenkel fühlte sich an, als ob er auf etwas ekelhaft Weichem, Nachgiebigem liegen würde, und tatsächlich sackte er ein Stück ein, während sein Fuß irgendwo hinter seinem Sichtbereich aufplatschte. Er hatte so etwas Ekelhaftes noch nie gesehen. Er hätte noch nicht einmal wirklich sagen können, was ihn an diesem Anblick so schockierte und was ihn umso vieles schrecklicher machte als all das, was er in den letzten Minuten erlebt hatte. Vielleicht lag es einfach daran, dass es pervers war, auf eine abgrundtief böse Art abartig, und dass ihm Georg in diesem Moment nicht mehr vorkam wie ein Mensch, sondern wie eine düstere Gestalt, die direkt aus der Hölle geschickt worden war, uni ihn zu verhöhnen und zu quälen.
    »Das sieht schlimm aus«, sagte Georg fast heiter. »Richtig schlimm Ich weiß nicht, ob dein Bein noch zu retten ist. Aber versuchen können wir es ja wenigstens, oder?« Will brachte auch jetzt noch kein Wort heraus. Ihm war mittlerweile so übel, dass er das Gefühl hatte, sich jeden Moment übergeben zu müssen, und dazu begann ihm zunehmend die Kälte zu schaffen zu machen, die wie ein alter, vertrauter Feind nur auf den bevorstehenden kompletten Zusammenbruch gewartet zu haben schien. »Ich fürchte, ich muss deinen Fuß etwas hochlegen. So, wie er jetzt da – na ja, sagen wir einmal, abhängt, bringt das wohl nicht viel, wenn ich dir die Schlagader abbinde.«
    Will fühlte sich wie ein kleines Kind, das ganz genau weiß, dass der Mann in dem weißen Kittel, der so hilfsbereit tat, in Wirklichkeit alles tun würde, um es zu quälen und ihm unsagbare Schmerzen zu bereiten, aber das nicht sagen konnte, schon gar nicht seiner Mutter, die doch nur sein Bestes wollte.
    »Warum …«, brachte Will schließlich mühsam hervor. »Warum tust du das alles?«
    »Aber Will!« Georg winkte tatsächlich ab, und dann lächelte er, zum ersten Mal, seit sie sich hier unten in diesem Gewölbe begegnet waren, aber es war das falsche Ich-will-dass-du-tust-was-ich-sage-sonst-passiert-was-Lächeln, mit dem ein bestimmter Schlag hartherziger Menschen seit jeher die schrecklichsten Grausamkeiten einzuleiten pflegte. »Das ist doch selbstverständlich. Schließlich bist du doch so etwas wie ein Bruder von mir – wenn auch ein böser Bruder, der mich aufs Übelste hintergangen hat und all die Wohltaten, die ich ihm habe angedeihen lassen, mit Füßen getreten hat. Aber lassen wir das. Du bist in Not, und da ist es doch selbstverständlich, dass ich dich nicht einfach verrecken lasse.«
    »Steck dir deine Scheißsprüche irgendwo hin!«, hätte ihm Will am liebsten entgegengebrüllt. Aber natürlich ließ er das sein. Er würde verbluten, wenn ihm Georg nicht half, und irgendetwas in ihm beharrte darauf, dass Georg tatsächlich etwas von einem bösen Arzt hatte, aber eben doch von einem Arzt, der ihm helfen konnte, wenn er selbst nur nichts Falsches tat, wenn er ganz einfach ein lieber Junge war …
    »Warte mal.« Georg tat irgendetwas mit seinem Bein, und wieder jagte ein scharfer Schmerz durch Will, aber das hatte nun so gut wie keine Bedeutung mehr. Georg würde ihm helfen, er würde ihn retten, wenn er ihn nicht weiter provozierte. Er musste nichts weiter tun, als die Schnauze zu halten.
    »Sieht wirklich übel aus.« Georgs Stimme klang konzentriert und sachlich, und Will verfluchte sich dafür, dass er darauf reagierte wie ein ängstlicher Patient, der geradezu zwanghaft in jede Äußerung von Ärzten oder Pflegepersonal etwas hineininterpretieren muss, um herauszubekommen, wie es um ihn stand. »Aber vielleicht … Es kann jetzt mal ein bisschen wehtun.«
    Als Georg sich erneut an seinem Bein zu schaffen machte, begriff Will augenblicklich, was er mit seiner Warnung gemeint hatte. Die Schmerzwelle, die ihn diesmal überflutete, riss seinen Verstand mit, löschte jeden bewussten Gedanken aus und hinterließ für sich scheinbar ins Endlose dehnende Sekunden nichts anderes in ihm als feurige Lohen, die alles wegbrannten, was eben noch an Resten von Trotz und Widerstand in ihm gewesen war.
    »Ich hab's gleich«, sagte Georg. Seine Stimme klang aufrichtig besorgt, zumindest kam es Will so vor, als sein Gehirn wieder anfing, so etwas wie eigenständige Gedanken zu produzieren

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