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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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überhaupt sprach. Es interessierte ihn auch nicht. Nichts interessierte ihn mehr, jedenfalls nichts anderes als die Frage, wie es ihm gelingen konnte, Duffy aus den Klauen dieses Monsters zu befreien, bevor Georg ihr Unsägliches antat, und mit ihr gemeinsam von hier zu fliehen. Sein Plan – der eigentlich kein Plan war, sondern nicht mehr als eine Wunschvorstellung – hatte einen kleinen Fehler, gut, aber das hieß nicht, dass er ihn abschreiben konnte. Vielleicht ließ sich wenigstens die erste Hälfte in die Tat umsetzen, nämlich Georg auszuschalten, indem er ihn irgendwie überrumpelte, wenn er nicht im Geringsten damit rechnete. Und dann würde er schon eine Möglichkeit finden, hier herauszukommen und Hilfe zu holen, und wenn er sich über den Boden robben musste, eine blutige Spur hinter sich herziehend – und danach musste es ihm irgendwie gelingen, die Bullen zu rufen und sie davon zu überzeugen, wie gefährlich Georg war und dass es besser war, ihn mit einem Kugelhagel zu durchsieben, statt bei der Befreiung Duffys irgendein Risiko einzugehen …
    Der Gedanke bewirkte etwas ganz Komisches: Er wurde ruhig. Es war beinahe so, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Das Blut, in dem er lag, war mittlerweile abgekühlt, so eiskalt geworden, dass er das Gefühl hätte haben können, im Schmelzwasser zu liegen, aber selbst das berührte ihn im Moment nur, weil er wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, weil die Wärme des Lebens aus seinem Körper wich.
    »Die Blutsbande sind noch viel stärker, als man im Allgemeinen annimmt.« Georgs Stimme hatte einen unangenehmen, fast metallischen Beiklang. »Zumindest trifft das für die wirklich starken Familien zu. Für die, deren Zusammenhalt auf eine fast mystische Weise selbst über die Jahrtausende noch stärker wird. Jeder von uns kennt solche Familien: Sie können über Generationen zerstritten sein, wie sie wollen, sie können Verbrecher, Künstler oder auch nur kleine Beamte hervorgebracht haben, aber immer, wenn sie in Bedrängnis geraten, halten sie auf eine Art zusammen, die sie fast unbesiegbar macht.«
    Will blinzelte. Sein linkes Auge war so blutverschmiert, dass er zuerst nichts als rote Schlieren sah, doch nach einem Moment begann sich sein Blick zu klären. »Ja«, krächzte er schließlich mühsam, als er begriff, dass Georg auf eine Antwort wartete. »Ich habe von so etwas gehört. Aber was hat das mit mir zu tun?«
    »Eine ganze Menge«, sagte Georg in nachdenklichem Tonfall. »Denn auch du gehörst zu einer solchen Familie. Wie ich übrigens auch.«
    Dunkle Punkte begannen vor Wills Augen zu tanzen, etwas Neues, aber keineswegs Beruhigendes, ein Vorbote des Endes wie die Kälte, die wieder von ihm Besitz ergriffen hatte und sich tief in ihn eingrub. »Hast du das alles nur inszeniert, um mit mir alte Familiengeschichten auszutauschen?«, fragte er mühsam.
    »Wenn du so willst – ja.« Georgs Stimme klang leiser, aber das lag auch vielleicht nur daran, dass Will zunehmend mehr Mühe hatte, sich auf sie zu konzentrieren.
    »Mit Familie habe ich nicht viel im Sinn.« Will wusste, dass er das Gespräch so lange wie möglich in Gang halten musste, bis er einen Ausweg aus seiner beschissenen Lage fand, aber immer wieder drohten ihm die Gedanken zu entgleiten. »Ich kenne ja noch nicht einmal meine Eltern. Ich bin ein Findelkind. Oder Vollwaise. Oder was auch immer, ich weiß es selbst nicht genau. Jedenfalls stehe ich ganz alleine da.«
    Georg sah ihn mit einem undefinierbaren Blick an. »Das glaubst du doch selbst nicht. Oder wärst du sonst hier?«
    Es dauerte eine ganze Weile, bis Georgs Worte in seinen Verstand sickerten. Oder wärst du sonst hier? Es gab nur einen einzigen Menschen, der für ihn wirklich Familie war, und erst jetzt, während er verblutend in einem stinkenden Kellergewölbe lag, wurde ihm bewusst, was eigentlich passiert war in dem Moment, in dem ihm Martina eröffnet hatte, Duffy sei seine Tochter.
    Er hatte plötzlich eine Familie, und wenn sie auch nur aus einem dürren, widerspenstigen Mädchen mit eingefallenen Wangen und tiefen, dunklen Rändern unter den Augen bestand; eine Zwölfjährige, die ihn meistens anfuhr, als sei er ein Volltrottel, der überhaupt nicht begreifen konnte, was ein Mädchen ihres Alters von ihm wollte, das sich jahrelang ausgemalt hatte, wie es sein musste, endlich seinen Vater kennen zu lernen; eine Zwölfjährige, die eine ganze merkwürdige raue Art hatte, ihm klar zu machen, dass es ihr

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