Feuer: Roman (German Edition)
eine Idee.« Reimann wirkte besorgt und nicht ganz bei der Sache, aber er war dennoch erstaunlich schnell und geschickt. Will bekam nicht genau mit, was er mit dem teuren Jackett tat, das er als Putzlappen verwendete, um damit an ihm herumzuscheuern – dem Herrenausstatter würden bei diesem Anblick wahrscheinlich die Tränen in die Augen schießen –, aber es wirkte so, als wisse er sehr genau, was er da tat. Und im Grunde genommen war es Will auch egal, was genau er da trieb, und sollten danach von dem Jackett auch nur noch ein paar blutgetränkte Fetzen übrig bleiben, so war es auch gut. Hauptsache, ihm fiel bei seiner Putzorgie nicht der Elektroschocker in die Hände.
»Was ist …«, begann Reimann, und Will durchfuhr ein gehöriger Schreck in der fast sicheren Gewissheit, dass er nun die Waffe entdeckt habe, »was ist hier eigentlich passiert? Hat Georg diesen armen Idioten so zugerichtet, oder waren Sie das?«
»Können wir dieses Gespräch nicht zu einem anderen Zeitpunkt auf der Wache fortführen?«, fragte Will.
»Ich wollte nur sichergehen.« Reimann lachte heiser auf. »Sich mit jemandem wie Georg anzulegen ist nicht ganz ungefährlich.«
»Stellen Sie sich vor: Das habe ich auch schon gemerkt«, keuchte Will. Er spürte, wie er langsam an der Wand herabzurutschen begann. »Holen Sie das Geld und die Taschenlampe, um Gottes willen, und dann lassen Sie uns von hier verschwinden.«
Reimann warf ihm einen besorgten Blick zu, öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, drehte sich dann aber gehorsam um und eilte zu der Tasche hinüber, um erst die Lampe und dann sich selbst in die Höhe zu reißen. Der Lichtstrahl zeichnete eine wilde Achterbahn an die Wand, und Will spürte, wie ihm die mühsam wieder zurückerlangte Orientierung erneut zu entgleiten drohte.
Da war Reimann auch schon wieder heran, packte ihn recht unsanft am Arm und schob ihn vorwärts. Will taumelte zwei, drei Schritte weit, dann fühlte er sich von Reimann gepackt und förmlich mitgerissen, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als sich halb mitgeschliffen, halb selbst stolpernd in die Richtung zerren zu lassen, die ihm der grauhaarige Polizist vorgab. Der Strahl der Taschenlampe irrte dabei über den Boden und die mittlerweile reglose Gestalt, die dort lag, über den grausam entstellten Wahnsinnigen, der mit der Messerstecherei angefangen hatte, ohne zu begreifen, auf was er sich da einließ – und vor allem, wen er sich damit zum Feind machen würde. Will erhaschte einen Blick auf ein bleiches, deformiertes Gesicht und auf einen unnatürlich verkrümmten Körper, aus dessen Bein immer noch ein Messergriff hervorragte.
Aber das war nicht das Schlimmste. Bei weitem nicht.
Es sah aus, als hätte Georg Rattengesicht wie eine Weihnachtsgans ausgenommen. Will konnte von seiner Position aus nur einen kurzen Blick auf den Brustraum des langhaarigen Messerstechers werfen, und das verwirrende Spiel von Licht und Schatten genügte nicht im Geringsten, um sich mehr als nur einen sehr groben Eindruck zu verschaffen – aber allein das war bereits das mit Abstand Ekelhafteste, was Will je gesehen hatte.
Der ganze Brustbereich war aufgeschlitzt. Es sah aus, als hätte jemand mit wütender Wucht immer und immer wieder zugestochen, das Messer schließlich in der Wunde herumgedreht und nach unten durchgezogen, in Richtung Bauchraum. Es war kein sauberer, chirurgischer Schnitt, es waren unzählige wütende Stiche und Schnitte, die in wilden Kurven bis zum Leistenbereich nach unten reichten, und es war etwas daraus hervorgequollen, das ihn auf kranke Art an die geringelten Maden erinnerte, die ihm einst aus einem vollständig verschimmelten Brot aus einer vergessenen Frühstücksdose entgegengekrochen kamen. Will wagte sich gar nicht auszumalen, was in Georg gefahren sein musste, bevor er das getan hatte, für das Will bei dem Anblick noch nicht einmal mehr einen Namen hatte. Es gibt Dinge, die man nicht tut, es gibt moralische Grenzen, die man nicht überschreiten darf, ganz ähnlich zumindest hatte sich Georg ausgedrückt, bevor er das getan hatte, was kein Mensch tun durfte. Will erinnerte sich voller Grauen daran, dass er zu sehen geglaubt hatte, Rattengesicht zucken gesehen zu haben, als ihm Georg das Messer ins Bein gerammt hatte, als wäre selbst da noch Leben in ihm gewesen. Seine übersprudelnde Fantasie musste ihm diesen Streich gespielt haben; Rattengesicht war zu diesem Zeitpunkt sicherlich längst tot gewesen, musste tot
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