Feuer: Roman (German Edition)
auch Reimann zu seinen Gegnern. Er wusste nicht, wie die Verbindung zwischen dem Hauptkommissar und dem Puffbesitzer zustande gekommen war, aber er wusste, dass solche Beziehungen nicht unüblich waren. Meistens waren es reine Zweckverbindungen, bei denen eine Seite beide Augen zudrückte und Informationen über Razzien und Observierungen weiterleitete und sich die andere Seite mit Geld oder Gegenleistungen in Form von Naturalien erkenntlich zeigte. Reimann war wohl kaum der Typ, der einem Zuhälter ein paar Tipps rüberreichte, damit er sich anschließend mit einer Nutte in einem billigen Hinterzimmer vergnügen konnte, und Will konnte sich auch nicht vorstellen, dass es reine Geldgier war, die ihn trieb. Hier ging es um etwas anderes. Um etwas, das auch mit ihm zu tun hatte, und mit dem Feuer, das mit Duffy verknüpft war wie ein böser Fluch, der ihr immer und überallhin folgte. Will spürte, wie wichtig dieser Gedanke war, und wie wichtig es vor allem wäre, ihn festzuhalten und weiterzuverfolgen, aber es gelang ihm nicht. Er entwischte ihm gegen seinen Willen, davongetragen von einer Schwäche, die alles, was ihm einst etwas bedeutet hatte, einzuebnen versuchte mit einer allumfassenden Gleichgültigkeit.
Reimann hatte sich mittlerweile in die Hocke niedergelassen und begutachtete Wills Wunde mit dem Interesse eines Arztes, der sich einer besonders bizarren Verletzung gegenübersieht. »Messer werden allgemein unterschätzt«, sagte er. Er sah auf und blickte Will mit ausdruckslosen Augen an. »Es sind nicht Schusswaffen, mit denen bei uns die meisten Menschen umgebracht oder schwer verletzt werden. Es sind Stichwaffen, angefangen von Scheren über Küchenmesser bis zu Bajonetten oder sogar Säbeln und Schwertern.«
Er stemmte sich wieder hoch und trat einen Schritt zurück. »Wir müssen sehen, dass wir Sie hier rausbekommen, bevor die Situation weiter eskaliert.«
»Warum?« Will schluckte fast krampfhaft, bevor es ihm gelang, den bitteren Geschmack in seiner Mundhöhle so weit zurückzudrängen, dass er weitersprechen konnte. »Und was ist eigentlich mit Ihnen los? Als ich Sie das letzte Mal gesehen habe, war Ihr Gesicht von Brandblasen übersät.«
»Brandblasen.« Reimann winkte ab. »Wer einem Großbrand mit ein paar Brandblasen entkommt, kann von Glück reden. Außerdem habe ich mich gleich fachgerecht versorgen lassen. Ich hab da nämlich einen Draht zu den richtigen Spezialisten.«
»Wenn ich es recht bedenke, müsste Ihr Gesicht trotzdem von Brandwunden entstellt sein«, beharrte Will.
»Sie sind ja auch noch nicht vollständig ausgeheilt«, sagte Reimann mit einem leichten Anflug von Ungeduld. Er fuhr sich mit der Hand über die Wange wie jemand, der prüfen will, ob das, was er sagte, auch wirklich stimmte. »Und außerdem spielt das jetzt doch wohl überhaupt keine Rolle.«
»Wie … Wie sind Sie aus dem Haus herausgekommen?«, bohrte Will mit einer Beharrlichkeit nach, die ihn selbst überraschte. »Es war doch ein reines Flammenmeer. Eigentlich hätte da niemand mehr entkommen können.«
Reimann starrte ihn an, als würde er ihn für geisteskrank halten. »Die Frage könnte ich ja dann wohl zurückgeben«, sagte er ruhig. »Dabei liegt die Antwort doch auf der Hand. Wir beide haben ein ganz besonderes Verhältnis zum Feuer. Wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen.«
»Ein besonderes Verhältnis zum Feuer?« Will wollte die Hand aufstützen, um sich ein Stück nach oben zu stemmen, ließ es aber im letzten Moment wieder sein, als ihm bewusst wurde, in was er die Hand beinahe eingetaucht hätte. »Wie meinen Sie das?«
Reimann blinzelte. Er sah jetzt ehrlich überrascht aus. »Das wissen Sie doch wohl besser als ich«, sagte er. »Schließlich sind Sie …« Er brach ab und schüttelte den Kopf. »Das ist jetzt alles unwichtig. Wir müssen Sie hier herausbekommen, bevor Georg zurückkommt. Ich weiß nicht, was der Verrückte noch vorhat. Und ob er nicht den Rest seiner Truppe auch noch im Schlepptau hat.«
Will hätte über diese Ankündigung erschrecken müssen, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Es war merkwürdig. Irgendetwas geschah in ihm, rasch und unerwartet. Statt weiter an Kraft zu verlieren, hatte er im Gegenteil sogar das Gefühl, als durchströme ihn neue Energie. Es war nicht gerade so, als würde er im nächsten Moment aufspringen und sich Reimann schnappen können, aber er hatte doch immerhin das Gefühl, als würde der eisige Block um seine Gedanken schmelzen und
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