Feuer: Roman (German Edition)
auch in seine Muskeln und sein Fleisch ein Rest von der Wärme und Energie zurückkehren, die in den letzten Minuten geradezu aus ihnen herausgeflossen waren.
»Sie wollen mir helfen?«
Wieder wirkte Reimann ein bisschen überrascht. »Natürlich will ich Ihnen helfen. Es hat schon genug Tote gegeben. Die Jagd durch die Abgründe der Zeit hat doch schon viel zu viele Opfer gefordert, finden Sie nicht auch?«
Will fand das ganz und gar nicht. Er verstand nicht im Geringsten, wovon Reimann überhaupt sprach. Abgründe der Zeit – was sollte das heißen? Dass sich Reimann an dem kleinen Psychospielchen beteiligte, mit dem ihn Georg quälen wollte, bevor er ihn endgültig umbrachte?
»Wissen Sie, wie ich das sehe, Lokkens?«, fragte Reimann. Will schüttelte den Kopf.
»Ich habe an Hunderten von Brandstellen gestanden, und bei etlichen von ihnen war die Brandursache ganz offensichtlich: eine weggeworfene Zigarettenkippe, ein Kabelbrand oder auch Brandstiftung. Aber bei mindestens zwei Dutzend dieser Brände haben wir keine Ursache gefunden und mussten den jeweiligen Fall zu den Akten legen. Dabei wussten es alle an der Untersuchung Beteiligten besser. Intern haben wir ein Dossier darüber angelegt, aber eines, das nie in die Hände der Staatsanwaltschaft gelangt ist. Es war etwas ganz Merkwürdiges: Wer einmal mit dem Drachenfeuer in Berührung kam, konnte sich nie wieder ganz davon lösen.«
Drachenfeuer! Will starrte Reimann mit offenem Mund an. Wo war er hier nur hineingeraten? Es reichte ihm schon, dass ihn Georg mit all dem Blödsinn von den Familienbanden und einem jahrtausendealten Gelübde voll gelabert hatte. Aber Drachenfeuer? Das war nun mehr als nur ein Tick zu viel. Glaubten die beiden Idioten etwa wirklich daran?
»Auch wenn Sie mich jetzt angucken, als wenn ich Ihnen erzählen würde, ich käme geradewegs vom Mars: Ich gehe davon aus, dass Sie ganz genau wissen, wovon ich spreche. Sie müssen es doch auch gespürt haben. Dieses Gefühl, dass sich das Feuer in die vom Brand geschwärzten Mauern zurückgezogen hat, dass es dort lauern würde wie ein Raubtier, bereit, jederzeit wieder hervorzuspringen und seine feurigen Zähne in sein nächstes Opfer zu jagen.«
Die übertrieben blumige Sprache passte eigentlich gar nicht zu Reimann, und sie war auch nicht der Situation angemessen: Trotzdem konnte Will nicht verhindern, dass er zusammenzuckte.
Natürlich kannte er das Gefühl, dass das, was das Feuer wirklich ausmachte, auch nach dem Brand immer noch da war, still, lauernd, als warte es bloß auf einen Fehler von ihm, auf eine winzige Schwäche, um dann wieder unbarmherzig zuzuschlagen. Das erste Mal, dass er es gespürt hatte, war noch gar nicht lange her und erschien ihm doch wie eine ferne Erinnerung, die Jahre zurücklag: Es war in dem Keller des Hauses gewesen, in dem er Duffy zum ersten Mal begegnet war, und damit auch in dem Keller, in dem sie gewohnt hatte, bevor es zu diesem Brand gekommen war.
Es passte alles zusammen, ja, es passte geradezu wunderbar zusammen. Duffy und das Feuer waren wie zwei unzertrennliche Geschwister, die nichts und niemand trennen konnte. Der Zusammenhang, den Reimann da andeutete, der Zusammenhang mit einer ganzen Reihe unerklärlicher Brandfälle, war dennoch schon ganz allein für sich eine Ungeheuerlichkeit, die er in keiner anderen Situation als der aktuellen unkommentiert gelassen hätte. Und doch war es nicht mehr als ein Puzzlestein in dem verworrenen Muster, das für ihn noch kein komplettes Bild ergab.
»Und nun los.« Reimann sah mit einem angeekelten Gesichtsausdruck in die Pfütze aus geronnenem Blut, in deren Mitte Will lag und mit der mittlerweile auch seine Schuhe in Berührung gekommen waren. »Können Sie sich hochstemmen?«
Will zögerte. Welche Antwort er auch immer gab, er musste sich die Folgen sehr genau überlegen. Der einzige Trumpf, über den er noch verfügte, war Angelas Waffe. Und die lag locker auf seinem Hemd, nur unvollständig von dem Jackett verborgen.
»Ich bin ziemlich schwach«, bekannte er schließlich. »Geben Sie mir einen Moment.«
»Ich fürchte, den werden wir nicht haben.« Reimann wandte den Kopf und starrte mit einem Blick in Richtung des Eingangs, in dem Will für einen Moment so etwas wie Nervosität aufflackern sah. Das war erstaunlich. Er hatte Reimann bislang immer sehr beherrscht erlebt, selbst in Situationen, in denen das Gegenteil angebracht gewesen wäre.
Aber das gab Will die Gelegenheit, auf die er
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