Feuer: Roman (German Edition)
Nische, war er dem ausgeliefert, was auch immer Slavko in den nächsten Augenblicken mit ihm vorhaben mochte.
Der Hüne schien etwas sagen zu wollen, aber es entrang sich ihm nur ein klagender, stöhnender Laut, der kaum etwas Menschenähnliches hatte, und die blauen Blitze, die um seinen Kopf tobten, schienen noch einmal an Intensität zuzunehmen.
»Slavko!«, schrie Georg. »Schnapp ihn dir!«
Es klang, als wolle er einem illegal scharf gemachten Kampfhund den Befehl geben, sein Opfer zu zerfleischen, aber seine Worte erreichten den angeschlagenen Hünen offensichtlich nicht mehr. Wie bei einem Epileptiker, der von einem Anfall seiner fürchterlichen Krankheit gebeutelt wurde, entgleisten seine Gesichtszüge vollständig. Dann ging ein wildes Zucken und Beben durch seinen Körper, vollkommen unkontrollierbar wirkend und wie der Vorbote des endgültigen Zusammenbruchs, und sein entstelltes Gesicht nahm von einem Augenblick auf den anderen eine ungesunde, bläulich graue Färbung an.
Doch gerade, als Will schon aufatmen wollte in der Gewissheit, dass Slavko von der elektrischen Dauerentladung nun endgültig gefällt werden würde, riss der Koloss die Hände in einem erschreckend gezielt wirkenden Angriff hoch. Will sah die rechte, nur halb zur Faust geballte Hand auf seinen Kopf zusausen, und er versuchte ihn zur Seite zu drehen, doch es gelang ihm nicht mehr rechtzeitig. Obwohl ihn Slavkos Schlag nur streifte, hatte er das Gefühl, als würde er von einem mit aller Wucht zurückschnellenden Zweig getroffen, den jemand zuvor kraftvoll auf Spannung gehalten hatte, und sein Hinterkopf rumste zum zweiten Mal gegen die Wand.
Doch der erwartete Stromschlag, die Entladung des Elektroschockers über Slavkos Körper hinweg auf ihn selbst, blieb aus; es war die Wucht des Schlages als solche, und der Aufprall auf den harten Stein, der ihn erneut an die Grenze der Bewusstlosigkeit trieb. Slavko stand wie erstarrt vor ihm, das Zerrbild einer griechischen Götterstatue, und Will wartete auf den zweiten, den vernichtenden Schlag, ohne auch nur in der Lage zu sein, einen Finger zu rühren.
Erst langsam und allmählich sickerte in seinen angeschlagenen Verstand ein, dass etwas geschah, was eigentlich gar nicht hätte passieren dürfen. Um Slavkos Kopf tobte noch immer ein blaues Lichtblitzgewitter, und züngelnde Verästelungen fraßen sich zur Wand oder von dort auch zu ihrem Opfer zurück – doch Will hielt die Waffe nicht mehr gegen Slavko gepresst, sondern so locker in der Hand, dass sie ihm beinahe zu entgleiten drohte. Bevor er diesen Gedanken weiterverfolgen konnte, stieß Slavko einen weiteren, halb erstickten Laut aus; dann sackte der Hüne in sich zusammen, als hätte ihm jemand mit einem wuchtigen Hammerschlag den Schädel zertrümmert.
Kapitel 41
Es gibt Momente im Leben, in denen alles auf eine einzige Entscheidung zuzulaufen scheint, in denen keine Zeit bleibt, Argumente abzuwägen und in sich zu gehen. Die einzigen beiden Dinge, deren sich Will sicher war, als er auf den gefällten Riesen hinabblickte, war, dass er sich genau in einem solchen Moment befand und dass er keine Ahnung hatte, wie es jetzt weitergehen sollte.
Ansonsten war er sich überhaupt nichts mehr sicher. Noch nicht einmal, wo er sich überhaupt befand.
Er sah einen Mann zu ihm herüberblicken, eine merkwürdig, aber sehr vertraut gekleidete Gestalt, die etwas auf den Schulteransätzen ihres Mantels befestigt hatte; die nackten Totenschädel zweier junger Wölfe. Im nächsten Moment war es Georg, der sich durch die Haare fuhr, erst einen Blick auf Slavko und dann auf ihn selbst warf, bevor er über einen hart gestampften, mit Ruß- und Schneepartikeln bedeckten Boden auf ihn zusteuerte.
Offensichtlich begann er endgültig die Kontrolle über seinen Verstand zu verlieren, und dabei scherte sich die Ausgeburt seiner Fantasie einen Dreck um Logik oder Naturgesetze.
Und dabei blieb es auch. Kaum war Georg vor ihm angekommen, glaubte Will in das Gesicht des Wolfsgesichtigen zu blicken. Doch vielleicht, schoss es ihm in einem Anflug von Panik durch den Kopf, war es auch genau umgekehrt, und der Wolfsgesichtige stand vor ihm, und er hatte den Eindruck, es sei Georg …
Er versuchte den Blick vom Anblick des Mannes zu lösen, er versuchte sich auf etwas zu konzentrieren, das eindeutig war, das so viel Realität hatte, dass es keinen Zweifel daran geben konnte wie an seiner Umgebung, die ihm gleichzeitig Schmiede und Höhle zu sein schien,
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