Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
für euren Untergang verborgen. In deiner Gestalt. Und deswegen hätte er dich, seinen einzigen Sohn und Erben, töten müssen. Doch das tat er nicht – schon allein, weil dann die Linie endgültig unterbrochen worden wäre.«
    Will schloss einen Moment lang die Augen. Die Erinnerungsfetzen, die sich ihm jetzt aufdrängten, hatten nichts mit denen zu tun, die ihn in den letzten Tagen in Atem gehalten hatten. Es waren Versatzstücke aus seiner eigenen Vergangenheit. Er sah einen kleinen, quadratischen Tisch vor sich, dessen alte, wurmstichige Platte nicht auf normalen Tischbeinen ruhte, sondern auf sich hochwindenden Drachen, und irgendetwas tief in ihm reagierte darauf mit einer Mischung aus Entsetzen und Fassungslosigkeit, als er begriff, was auf diesem Tisch gelegen hatte: vergilbte, brüchige Karten mit den Zeichnungen alter Höhlen und dunkler Gänge, die sich tief unter der Erde in einen Drachenhort bohrten. Er erinnerte sich daran, wie er mit den Fingern vorsichtig den Linien und Ausbuchtungen in dem Kartensatz nachgefahren war, und er fragte sich, ob die einfachen Skizzen nicht genau das unterirdische System gezeigt hatten, in dem er jetzt gerade unterwegs war.
    »Er hat dich weggegeben. Früh, doch nicht so früh, dass du nicht noch mitbekommen hättest, wo du aufgewachsen bist. Und auch das hat er aus Berechnung getan.« Die Stimme des Wolfsgesichtigen gefror zu eisiger Kälte. »Damit du auf das alte Wissen zurückgreifen könntest, wann immer das nötig wäre.«
    Ja. Will erinnerte sich an noch mehr Details, die noch weiter zurückzuliegen schienen. Es war vor unendlich langer Zeit gewesen, zumindest nach menschlichem Empfinden, und er war noch ein ganz kleiner Junge gewesen. Er hatte auf einem dicken, weichen Teppich gehockt und mit allen möglichen Figuren gespielt, und er war der Schmied gewesen, und dann war da mit einem Mal eine dunkle, massige Gestalt gewesen, um sich zu ihm herabzubeugen und ihm zu zeigen, wie er in dem kleinen Ofen vor sich ein wirkliches Feuer entzündet hatte. Und da waren Drachenfiguren gewesen, mit denen er herumgekrabbelt war, und die Gestalt hatte ihn das Wort nachbrabbeln lassen: »Drachenfeuer.«
    War das sein Vater gewesen?
    »Doch dann hat dich dein Vater verstoßen«, sagte der Wolfsgesichtige. »Erst hat er dir deine Erinnerung gegeben – dann hat er sie dir wieder genommen. Du bist nicht bei Pflegeeltern untergekommen, du solltest keine Heimat finden, keinen Hafen, wo du dein Lebensschiff hättest fest verzurren können. Alles war vorbestimmt. Selbst die Art, wie du dir deinen Lebensunterhalt verdient hast, war nicht zufällig. Damit glaubte dein Vater, dich aus der Schusslinie zu nehmen, vor uns verbergen zu können. Doch genau das ist sein Fehler gewesen.« Der Wolfsgesichtige machte eine rasche Bewegung mit dem Kurzschwert, und Will zuckte zusammen. »Am Ende war es die Hybris eines einzelnen Mannes, die eure Erbfolge zu Fall gebracht hat. Hätte dir dein Vater bei sich die Heimstatt gewährt, wie es sich gehört, hätte er dich unterrichtet, wie seit jeher das alte Wissen vom Vater auf den Sohn überging – wer weiß, vielleicht wärst du dann sogar den Weg weitergegangen, den dir dein Erbe vorgab.«
    Irgendwann, Monate oder Jahre später, hatte es keine dicken Teppiche mehr gegeben, sondern nur noch harten Linoleumboden, und keine handbemalten Drachenfiguren, sondern nur noch unansehnliche Papierdrachen, und keinen Drachentisch und alte Karten, sondern nur noch kärgliches, normales Mobiliar und ein paar abgegriffene Bilderbücher, und dann, als er älter geworden war, hatte er ganz zu vergessen begonnen, dass es einmal ganz anders, behüteter und liebevoller gewesen war.
    Warum hatte ihm sein Vater das angetan?
    »Du hattest nicht den unstillbaren Machthunger wie die, die vor dir waren«, sagte der Wolfsgesichtige. »Das hat dir dein Vater nicht verziehen. Aber er hat gehofft, dass du deinen Weg finden würdest. Und ich – ich bin hier, um dir dabei zu helfen, den letzten und entscheidenden Schritt zu gehen, damit du dich für immer und alle Zeiten von dem Drachenfeuer befreien kannst.«
    Lüge!, schrie alles in Will. Die bruchstückhaften Erinnerungsstücke, die aus seiner Seele emporstiegen, reichten bei weitem nicht aus, um ihn das Gesamtbild erkennen zu lassen. Doch sie genügten durchaus zu der Erkenntnis, dass dieser Mann, der vor ihm stand, nicht aus lauter Großmut so sprach, sondern nur, weil er seine eigenen Ziele verfolgte, weil er selbst das haben

Weitere Kostenlose Bücher