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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gleichermaßen kalt wie heiß; in der es einen Wind gab, der ihn frösteln ließ, und einen warmen Hauch, der wie eine Liebkosung über sein Gesicht strich …
    Mit aller Selbstkontrolle, zu der er noch fähig war, versuchte er sich aus dem verrückten Fluss seiner Gedanken zu lösen. Sein Atem ging rau und rasselnd, und sein Körper, halb eingeklemmt zwischen den Felswänden, krümmte sich in Erwartung des Angriffs, der jetzt vonseiten des Mannes erfolgen musste, jeden Moment; und diesmal, das ahnte er, würde es nicht so leicht sein wie mit Slavko.
    Der Mann beugte sich zu ihm vor und sagte etwas. Will verstand kein einziges Wort. Er versuchte nach wie vor, einen Halt zu finden, irgendetwas, das ihn erlöste von dem Gefühl, gleichzeitig zwei ähnliche und doch vollständig verschiedene Dinge zu erleben. Mit aller Gewalt zwang er sich, irgendwo anders hinzublicken, nur nicht in das Gesicht des Mannes, von dem er immer weniger wusste, wer er war. Doch dadurch wurde es nicht besser, ganz im Gegenteil. Es waren die Augenhöhlen der beiden Tierschädel, die seine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Etwas funkelte dort, wo an sich nichts sein durfte, eine feurige Glut, vertraut und doch irgendwie falsch; vertraut, weil das Feuer etwas war, das ihn stärkte und wärmte, wann immer er es benötigte, weil es die Grundlage für das war, was er tun musste, weil er ohne es ein Nichts war, wehr- und machtlos seinen Gegnern ausgeliefert …
    und falsch, weil die Glut nicht die Kraft des Feuers widerspiegelte, die er kannte, sondern etwas anderes, Bösartiges, für ihn vollkommen Fremdes …
    »Das ganze Versteckspiel hat dir nichts genutzt«, sagte der Mann. »Es ist vorbei.«
    Reimann. Das war es. Die einzigen wirklich festen Bezugspunkte zu der Realität des 21. Jahrhunderts waren Reimann und Slavko, aber Georgs Bodyguard lag schmerzverkrümmt und sabbernd zu seinen Füßen, ein Häufchen Elend, nachdem er viel zu lange versucht hatte, der Energie des Elektroschockers standzuhalten, also blieb nur noch Reimann … Will versuchte, an der Gestalt vorbeizublicken, die sich drohend vor ihm aufgebaut hatte, er versuchte, die Wolfsschädel auf ihrem Mantel zu ignorieren, um den Polizisten mit seinem Blick einzufangen. Das Licht in der Schmiede war nicht gut, und der Schneesturm, der draußen wieder angefangen hatte zu toben, wirbelte jede Menge Dreck und schwarz verkohlte Holzstücke herein, so dass es ihm schwer fiel, sich zu orientieren; zudem verschwamm die Umgebung um ihn, als wäre sie gar nicht real, und nackter Felsboden war plötzlich dort, wo der festgestampfte Boden sein sollte, und dann …
    Reimann stand da, nur schemenhaft beleuchtet vom Streulicht zweier Taschenlampen, und Will wusste plötzlich wieder, wo er war: in einer Felshöhle irgendwo tief unter der Stadt, in der der Boden unruhig vibrierte, weil hier irgendwo gewaltige Kältemaschinen dafür sorgten, dass das Feuer nicht unkontrolliert aus den Tiefen der Erde hervorbrechen konnte. Es war nur ein flüchtiger Gedanke, der beinahe fortgerissen wurde durch die widersprüchlichen Empfindungen, die in ihm tobten, und doch brachte er ihn ein Stück näher in die Normalität zurück.
    »Du kannst deine Tochter noch retten«, sagte der Mann vor ihm.
    Reimann wirkte nervös, sein Gesicht fahl und eingefallen, und sein Blick irrte dauernd zwischen Will und dem Mann hin und her, der sich vor ihm aufgebaut hatte. Für Will war es dennoch ein unglaublich kostbarer Anblick. Wo Reimann stand, war nur Höhle, schlichtes und einfaches, ungebrochenes und unbearbeitetes Gestein. Reimann bedeutete, dass über ihnen eine Million Menschen lebten, dass geliebt, gelacht und gestritten wurde, dass Moderatoren und Fachleute mit zunehmender Anspannung über eine unerklärliche Brandserie berichteten, die Köln seit den frühen Morgenstunden heimsuchte, und davon, wo der Verkehr durch eine Feuersbrunst lahm gelegt, wo Schulen evakuiert und Straßenzüge geräumt worden waren … Es mochte die hässliche, die katastrophale Seite der Realität sein, aber es war die Realität, und in diesem Moment kam Will allein schon die Vorstellung an sich unendlich kostbar vor.
    »Ich weiß nicht, wo du in deinen Gedanken bist, Wieland«, sagte der Mann vor ihm. »Aber wird es nicht Zeit, dir ein paar Gedanken über deine Tochter zu machen?«
    Will machte den Fehler, den Blick von Reimanns gepeinigtem Gesicht loszureißen und den Mann anzusehen, der vor ihm stand. Wenn Slavko nicht zwischen ihnen gelegen

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