Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
hatte, auf dem Weg nach Hause zu sein, bevor die Irrfahrt des Zuges begonnen hatte, und über allem lag das Keuchen der Lokomotive und das Rumpeln der alten Wagen über gottlob bislang noch unzerstörte Bahngleise.
    Claras Hand schlich sich fast verstohlen in die meine. Sie war schweißnass. Als sich unsere Blicke begegneten, erschrak ich beinahe; es waren nicht mehr länger die Augen eines Kindes, die mich ansahen, sondern die einer jungen Frau, die schon viel zu viel erlebt hatte, die längst abgeschlossen hatte mit ihrem Leben und nur so tat, als könne ich ihr Trost spenden, um mich nicht zu enttäuschen.
    Will ging zur Tür, öffnete sie und blickte für die Dauer eines Herzschlags vollkommen verständnislos in ein schmales, auf sonderbare Weise vertraut erscheinendes Gesicht, das von goldfarbenem glattem Haar eingerahmt wurde. Er war nicht ganz sicher, wer im ersten Moment erschrockener war – er oder die junge Frau im Hippie-Look, aber zu einem zweiten Moment kam es nicht. Plötzlich ging alles so schnell, dass Will nicht wirklich begriff, was geschah; nicht einmal später, als er mit einigem Abstand und der angemessenen Ruhe über die Geschehnisse nachzudenken versuchte:
    Möglicherweise setzte er sogar noch dazu an, etwas zu sagen oder auch nur einen Laut der Überraschung hören zu lassen, aber wenn, dann kam er nicht einmal dazu; und zumindest in seiner Erinnerung explodierte der Schmerz in seinem Körper, noch bevor die Hand der jungen Frau in die Manteltasche glitt und mit etwas Kleinem, Schwarzem wieder zum Vorschein kam. In dem gegeneinander verschobenen Zeitablauf, mit dem seine Erinnerung die Ereignisse reproduzierte, überlagerte die Woge reinen weißen Feuers, die seine Nervenbahnen entlangtobte, alle anderen Bilder und Eindrücke, ob ihre Bewegung nun tatsächlich so unvorstellbar schnell war, wie sie ihm vorkam, oder er vielleicht nur so langsam und vor Schrecken wie gelähmt; aber immerhin erinnerte er sich, wie sonderbar ihm das Ding vorkam, das sie aus der Manteltasche zog: ein leicht klobiges schwarzes Etwas, das wie eine bizarre Mischung aus einem Diktiergerät und einem Rasierapparat aussah. Nur, dass es weder das eine noch das andere war und die einzige Botschaft, die man darauf speichern konnte, Qual hieß. Dann entluden sich die fünfzigtausend Volt des Elektroschockers mit der Gewalt eines Blitzschlags in seine Schulter, und Will kippte gelähmt und unfähig zu schreien zur Seite gegen den Türrahmen.
    Er wäre hilflos daran hinabgesunken, aber die junge Frau trat mit einem einzigen Schritt an ihm vorbei durch die Tür, wobei sie gegen ihn prallte, so dass sich Will noch im Zusammenbrechen wie eine Marionette mit zerschnittenen Fäden halb um seine Achse drehte und auf die Seite fiel. Sein rechter Arm geriet dabei so unter seinen Körper, dass das Schultergelenk bis über die Grenzen des Erträglichen hinaus verdreht und belastet wurde und er buchstäblich hören konnte, wie das Gelenk aus der Pfanne sprang. Der Schmerz sollte grässlich sein, aber er war es nicht. Möglicherweise war der Elektroschock gnädig genug gewesen, auch die für diesen Schmerz zuständigen Rezeptoren in seinem Gehirn größtenteils zu paralysieren – aber wahrscheinlicher war, dass die lodernde Agonie, die in binnen Sekundenbruchteilen aufeinander folgenden Wellen durch sein gesamtes Nervensystem pulsierte, einfach zu schlimm war, um noch Platz für eine Banalität wie ein ausgekugeltes Schultergelenk zu lassen.
    Will fiel auf die Seite, rollte noch ein kleines Stück herum und knallte zu allem Überfluss auch noch mit dem Hinterkopf gegen irgendetwas Hartes, was ein schieres Feuerwerk winziger, grellgelber Schmerzblitze vor seinen Augen explodieren ließ. Trotzdem sah er, wie die junge Frau mit einem einzigen weiteren Schritt endgültig an ihm vorbei war und wie ein biblischer Racheengel über Reimann und Falkenberg kam. Der Elektroschocker in ihrer Hand summte. Der dünne Faden aus gezacktem bläulichem Licht züngelte nach Falkenbergs Gesicht und verfehlte es um Haaresbreite, als der jüngere der beiden Kriminalbeamten im buchstäblich allerletzten Moment den Kopf nach hinten warf, aber Reimann hatte weniger Glück: Der Elektroschocker surrte weiter, eine der beiden Elektroden schrammte über seine Wange und hinterließ einen fingerlangen blutigen Kratzer darauf, und Reimann riss mit einem wütenden Knurren den Arm hoch, um nach dem Handgelenk der Angreiferin zu fassen.
    Fast hätte er es sogar

Weitere Kostenlose Bücher