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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sah er noch, wie sie den rechten Arm hob.
    »Ich komme nicht mit zurück«, beharrte Duffy. »Nie wied…«
    »Sieh nicht nach draußen«, sagte ich zu Clara, die mit starrem Gesicht aus dem verschmierten und durch unseren kollektiven Angstatem beschlagenen Fenster nach draußen starrte.
    Die Toten lagen noch so da, wie sie die Druckwelle, die Bombensplitter oder ein direkter Einschlag getötet hatten, und ich erkannte die qualmenden Überreste eines Sanitätsfahrzeugs, und daneben die zerrissenen Überreste einer jungen Frau in der typischen Rotkreuzkluft; ihr rechter Arm war verschwunden und die eine Hälfte ihres Gesichts eine blutige Masse, während die andere vollkommen unversehrt war und erkennen ließ, dass sie jung und schön gewesen war.
    Ich verstand nichts – weder, was hier geschehen war, noch, warum, und schon gar nicht, warum wir trotzdem in die rauchende Trümmerstadt einfuhren, die noch nicht einmal mehr die Kraft hatte, ihre Toten in den Schoß der Erde aufzunehmen. In den letzten zwei Tagen hatten wir eine wahre Odyssee durch verschiedenste kleine Orte hinter uns gebracht, immer in der Hoffnung, dass es besser werden würde, wenn wir in Dresden einfahren würden. Jetzt war das genaue Gegenteil der Fall.
    »Ich will hier nicht hin«, sagte Clara, und noch einmal, entschieden lauter: »Ich will hier nicht hin!«
    Etwas summte, ein dünner, elektrischer Laut voller knisternder Bosheit, und der Rest des Wortes ging in einem verwehenden Seufzen unter. Will wartete auf das dumpfe Geräusch, mit dem Duffys Körper auf dem Boden aufschlug, aber es kam nicht. Vielleicht hatte die Blonde sie aufgefangen, bevor sie zusammenbrechen konnte.
    Der Abstand zwischen den Schmerzwellen, die noch immer durch sein Nervensystem rasten, wurde größer, und es kam ihm zumindest so vor, als wäre die Agonie nicht mehr ganz so unerträglich wie bisher. Nicht, dass dieser Gedanke irgendetwas Tröstliches gehabt hätte. Die Blonde hatte von zehn Minuten gesprochen. Vorausgesetzt, das war nicht nur so dahingesagt, war das mindestens zwanzigmal so lange, wie er bisher hier auf dem Boden lag; und damit mehr als genug Zeit, die Strecke zur Hölle und zurück mehr als einmal zu befahren. Aber wenigstens würde er es überleben – auch wenn er nicht ganz sicher war, dass er das im Moment auch tatsächlich wollte.
    Ein Fegefeuer später, das eines mittelmäßigen, aber fleißigen Sünders würdig gewesen wäre, begannen seine Finger- und Zehenspitzen zu kribbeln, und nur einen Moment darauf fing er am ganzen Leib zu zittern an. Der Schmerz ließ jetzt rasch nach, und obwohl er sich hütete, es auszuprobieren, spürte er, dass er sich wieder bewegen konnte. Irgendwo außerhalb des Flurstücks waren schleifende, polternde Geräusche und ein schweres Atmen zu hören, das von mühsam niedergehaltener Furcht und ebenso großer Konzentration kündete.
    Die junge Frau tauchte wieder in seinem Blickfeld auf, und das Bild, das sie bot, war fast noch erstaunlicher als alles, was Will zuvor gesehen hatte, wenn auch auf eine gänzlich andere Art. Sie hatte den Elektroschocker unter ihren Gürtel geschoben, wie ein Revolverheld aus einem futuristischen Film seine Waffe, und obwohl sie selbst kaum mehr als hundertzwanzig Pfund wiegen konnte, hatte sie sich Duffys bewusstlosen Körper aufgeladen und trug ihn so mühelos, wie es jeder anderen Frau ihrer Statur allerhöchstens mit einer Federboa gelungen wäre. Will revidierte den ersten Eindruck, den er von ihr gewonnen hatte, endgültig. Nicht nur, dass die Haarfarbe nicht stimmte, sie hatte auch sonst rein gar nichts mit Joan Baez gemeinsam. Wenn er schon einen Vergleich aus den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts bemühen wollte, dann kam Emma Peel der Sache schon viel näher …
    Er versuchte sich zu bewegen, aber schon der bloße Gedanke zog eine neue Woge von Krämpfen nach sich, und obwohl er nicht den mindesten Laut von sich gab, schien die junge Frau irgendetwas zu spüren, denn sie war schon fast an ihm vorbei und auf halbem Wege zur Tür, blieb aber plötzlich stehen und sah stirnrunzelnd auf ihn herab. Ihr Gesichtsausdruck verwirrte Will, denn es war so ziemlich das Allerletzte, was er erwartet hatte: eine Mischung aus Bedauern, Mitleid und tief empfundener Scham; und nicht einmal eine Spur von Zufriedenheit.
    »Versuchen Sie nicht, sich zu bewegen«, sagte sie. »Die Lähmung vergeht in ein paar Minuten von selbst, aber je mehr Sie dagegen ankämpfen, desto schlimmer wird es.«

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