Feuer: Roman (German Edition)
durcheinander, und er hörte die Schritte von mindestens drei, vier Menschen hastig die Stufen hinunterpoltern; seiner Meinung nach fast die gesamte Bewohnerschaft des Hauses, soweit sie zu dieser Uhrzeit nicht ohnehin unterwegs war.
Wenigstens hoffte er es. Der Fußboden hatte aufgehört zu zittern, und auch das unheimliche Grollen war verstummt, aber trotzdem: Irgendetwas … geschah. Er wusste nicht, was es war – und wollte es auch gar nicht wirklich wissen –, aber es machte ihm Angst. Es war, als spüre er die Annäherung von etwas Großem, das ebenso unaufhaltsam wie böse war. Er hatte den Gesichtsausdruck der jungen Frau ebenso wenig vergessen wie das Entsetzen in ihrer Stimme. Es hat bereits begonnen!
Will verscheuchte den Gedanken und wollte sich zur Tür umdrehen, aber Falkenberg hielt ihn zurück. »Was haben Sie vor?«
»Genau das, was Ihr Chef mir geraten hat: von hier zu verschwinden«, antwortete Will. »Und das sollten Sie auch tun!«
Falkenberg starrte ihn einen Moment lang verständnislos an und sah dann zur Tür. Der Lärm im Treppenhaus hielt noch immer an, hatte sich aber entfernt, weil die flüchtende Stampede der Hausbewohner mittlerweile die nächstuntere Etage erreicht hatte. Falkenberg legte die Stirn in Falten, als versuche er ebenso angestrengt wie vergebens, der bizarren Geräuschkulisse irgendeinen Sinn abzugewinnen, dann atmete er hörbar ein, wandte sich wieder an Will und sagte: »Sie gehen nirgendwo hin. Jedenfalls nicht« – er griff in die Manteltasche – »ohne die hier.«
Will starrte fassungslos auf das Paar verchromter Handschellen, das zwischen Falkenbergs Fingern baumelte. »Was … was soll denn das?«
»Ich verhafte Sie«, antwortete Falkenberg. »Was soll die Frage? Ich dachte, darin hätten Sie Übung.«
»Haben Sie mir nicht zugehört?«, keuchte Will. »Wir müssen hier raus! Reimann hat mich beauftragt, Sie hier rauszubringen, und zwar schnell!«
»Das sagen Sie.« Falkenberg schüttelte den Kopf. »Für mich sieht die Sache ganz einfach aus. Jemand hat mich niedergeschlagen, und als ich wieder aufwache, ist nicht nur Reimann verschwunden, sondern auch die Kleine und dieses Karate-Weib. Was soll ich Ihrer Meinung nach tun? Sie laufen lassen und mich für die Störung entschuldigen?«
Das Schlimmste war, dachte Will, dass Falkenberg von seinem Standpunkt aus betrachtet sogar Recht hatte. Er hätte ihn nicht einmal laufen lassen dürfen, wenn er es gewollt hätte – und er wollte es ganz bestimmt nicht. Und sie hatten keine Zeit mehr zu verlieren. Der Lärm aus dem Treppenhaus war fast verstummt, aber Will hatte noch immer das unheimliche Gefühl, dass irgendetwas kam. Etwas war im Erwachen begriffen. Und es war nichts Gutes. Resignierend streckte er Falkenberg die linke Hand entgegen und ließ zu, dass er die stählerne Fessel um sein Gelenk schnappen ließ. Als Falkenberg jedoch auch nach seinem anderen Arm greifen wollte, schüttelte er hastig den Kopf. »Ich kann den Arm nicht bewegen.«
Falkenberg machte keinen Hehl aus seinem Zweifel, trat dann jedoch ohne ein weiteres Wort an Will vorbei und hinter ihn. Will hörte, wie er überrascht die Luft einsog. »Sie scheinen ein harter Bursche zu sein«, sagte er in einem Ton, in dem sich widerwillige Anerkennung mit unverhohlener Schadenfreude mischte. »Eigentlich müssten Sie sich vor Schmerz auf dem Boden wälzen. Einen so klaren Fall von ausgekugeltem Schultergelenk habe ich selten gesehen.«
»Sie können sich darüber freuen, solange Sie wollen, aber bitte nicht hier!«, antwortete Will gepresst. »Können wir jetzt endlich gehen?«
»Nur einen Moment noch«, antwortete Falkenberg. »Das sieht schlimmer aus, als es ist. Halten Sie still!«
Will gehorchte ganz instinktiv. Ihm wurde erst klar, was Falkenberg vorhatte, als dessen Finger rasch und unsanft über sein Schulterblatt tasteten.
»Unterstehen Sie sich!«, keuchte er.
Falkenberg unterstand sich tatsächlich. Der Schmerz, mit dem er sich den Arm ausgekugelt hatte, war nichts gegen den, mit dem ihm Falkenberg das Schultergelenk wieder einkugelte. Will tat ihm nicht wirklich den Gefallen, sich wimmernd vor ihm am Boden zu wälzen, aber viel hätte dazu nicht gefehlt. Irgendwie gelang es ihm, auf den Beinen zu bleiben, aber für einen Moment sehnte er sich fast danach, in Ohnmacht zu fallen, und seine Augen füllten sich mit Tränen.
Falkenberg trat wieder um ihn herum und verzog die Lippen zu einem breiten, blutigen Grinsen. »Sehen Sie?«,
Weitere Kostenlose Bücher