Feuer: Roman (German Edition)
Kaschemme in eine Festung verwandelte, in die absolut niemand hereinkam, der weniger als eine Panzerfaust oder ein Schweißgerät zu Hilfe nahm, aber nun kam ihm zum ersten Mal zu Bewusstsein, dass es genauso gut auch umgekehrt funktionierte: Dieses Haus war nicht nur eine Festung, es war auch ein Gefängnis. Und vielleicht war das sogar der eigentliche Sinn der Gitter vor den Fenstern. Seine Panik nahm für einen Moment sogar noch zu. Er konnte nur noch mit Mühe den Impuls unterdrücken, das Fenster doch aufzureißen und mit aller Kraft an den Gittern zu rütteln, und es kostete ihn fast noch mehr Selbstbeherrschung, nicht den Stuhl zu nehmen und an der geschlossenen Tür zu zerschlagen.
Der Panikanfall verging so schnell, wie er gekommen war. Wills Herz hörte auf wie rasend zu klopfen, und plötzlich kam er sich selbst albern vor, weil er so hysterisch reagiert hatte. Georg hatte ihn eingeschlossen, und das ärgerte ihn, aber er konnte sich ein Dutzend Gründe denken, aus denen er das getan hatte – und sei es nur, um zu verhindern, dass er sein Zimmer verließ und rein zufällig jemandem in die Arme stolperte, dem er besser nicht begegnen sollte. Immerhin galt er offiziell als tot.
Will ging wieder zur Tür, ließ sich davor in die Hocke sinken und begutachtete einen Moment lang das Schloss. Es war ein einfaches, altmodisches Schloss, mit einem noch einfacheren, altmodischen Schlüssel, das selbst einen weit weniger talentierten Einbrecher als ihn vor keine unüberwindlichen Probleme gestellt hätte. Er sah sich im Zimmer um. Georg war nicht so rücksichtsvoll gewesen, einen Kasten mit Dietrichen oder anderen Einbruchswerkzeugen für ihn zurückzulassen, aber es dauerte nur einen kurzen Moment, bis Will ein Stück Draht gefunden hatte, das er mit wenigen Handgriffen zurechtbiegen konnte. Nicht einmal zehn Sekunden später hatte er das Schloss entriegelt und drückte behutsam die Klinke hinab. Diesmal öffnete sich die Tür gehorsam, und Will schob sie noch behutsamer wenige Zentimeter weit auf, um zu lauschen. Der Flur draußen war so dunkel wie vorhin, und auch unten in der Bar war es vollkommen still. Wenn Georg noch da war, dann schlief er entweder oder tat etwas, das absolut kein Geräusch verursachte.
Will wartete mit klopfendem Herzen lange genug, um sicher zu sein, dass niemand auf der anderen Seite der Tür stand und ihm auflauerte, dann verließ er das Zimmer, wandte sich nach links und ging auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. Diesmal tastete er sich mit der linken Hand an der Wand entlang und achtete auch sorgsam darauf, seinen Fuß sicher auf der nächsten Stufe aufzusetzen. Vor ihm herrschte das gleiche, von Schatten erfüllte Halbdunkel wie vorhin, aber die Stille war nicht so vollkommen, wie er bisher angenommen hatte. Als er den Samtvorhang zur Seite schob, der das Treppenhaus vom Gastraum trennte, hörte er gedämpftes Stimmengemurmel, das durch die geschlossene Tür von Georgs Büro drang. Es war unmöglich, einzelne Worte zu verstehen, aber Will war fast sicher, seinen eigenen Namen zu hören. Er blieb stehen, spielte einen Moment lang mit dem durch und durch irrsinnigen Gedanken, einfach in Georgs Büro zu platzen und ihn zur Rede zu stellen, und entschied sich dann, etwas weitaus Vernünftigeres zu tun, nämlich von hier zu verschwinden, so schnell er konnte. Er hatte keine Ahnung, wohin, und er machte sich auch nichts vor: Die Menschen mochten im Allgemeinen schnell vergessen, aber sein Gesicht war gestern und heute einfach ein paar Mal zu oft im Fernsehen gezeigt worden, als dass er sich ernsthaft einbilden konnte, nicht nach ein paar Minuten von zufällig vorbeikommenden Passanten erkannt zu werden. Aber er hatte das immer intensiver werdende Gefühl, dass von allen Orten in dieser Stadt dieser hier vielleicht derjenige war, an dem er sich am wenigsten sicher fühlen konnte.
Statt etwas wirklich Dummes zu tun, steuerte er mit schnellen Schritten den Ausgang der Bar an und drückte die Türklinke ebenso vehement und mit dem gleichen Ergebnis herunter wie gerade oben. Die Tür war abgeschlossen. Und diesmal sparte Will es sich, das Schloss auch nur einer flüchtigen Untersuchung zu unterziehen. Die Tür war scheinbar aus Eichenholz, aber unter dem dünnen Furnier befand sich massives Eisen, und das Sicherheitsschloss hätte selbst einen Spezialisten nach wenigen Augenblicken zu der Erkenntnis gelangen lassen, dass man es besser gleich mit einer Handgranate versuchte.
Enttäuscht
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