Feuer und Glas - Der Pakt
ihn kannte, flackerte Unsicherheit in seinen Lagunenaugen. »Nur noch viel schrecklicher. Ich kann da nicht hindurch – niemals!«
»Wir müssen es nicht tun«, versuchte sie ihn zu beruhigen.
»Doch, ich muss!«, rief er. Verzweifelt fuhr er sich mit den Händen durch die dunklen Haare.
Als hätte das Feuer ihn gehört, öffnete sich unmittelbar vor ihnen plötzlich eine Schneise, die den Blick freigab auf das, was dahinter lag.
Milla sah einen tiefblauen See, den das Feuer wie ein glühender Zaum umschloss. Und dort, in der Mitte des Sees, befand sich erneut eine Insel, auf der sich ein seltsames Gebäude erhob. Wie eine Muschel schien es geformt zu sein, soviel konnte sie erkennen.
Und dann hatte sich die Feuerwand mit einem Brausen auch schon wieder geschlossen.
Von dem unglaublichen Anblick noch vollkommen gebannt, war es ein lautes Maunzen, das die beiden zurück in die Wirklichkeit holte. Doch als sie sich umschauten, war weder hinter ihnen noch neben ihnen etwas zu sehen.
Wieder erklang ein Maunzen – und diesmal war klar, dass es hinter der Feuerwand ertönte.
»Puntino!«, rief Milla, und plötzlich wusste sie genau, was sie zu tun hatte. »Luca, wenn Puntino durch das Feuer gelangen kann, kannst du es auch.«
Sie öffnete das Kästchen und holte die Gondel heraus.
»Halt sie ganz fest – sie wird dir dabei helfen!«
»Das darfst du nicht von mir verlangen!«, rief Luca und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. »Wir gehen. Ich werde das nicht überleben.«
Milla spürte, wie sich die Flamme in ihr erhob.
»Sieh mich an!«, rief sie. »Ich bin Feuer – ich weiß, wie man mein Element beherrscht.«
Luca sah sie an, in seinen Augen schien sich ihr Leuchten zu spiegeln, dann streckte er die Hand nach der Gondel aus.
Nun traten sie gemeinsam vor die Feuerwand.
Milla hob den Arm, als wollte sie den Flammen Einhalt gebieten. Ein Windstoß umbrauste sie und ließ ihre roten Locken fliegen – die Zeit schien stehen zu bleiben.
Als plötzlich ein schmaler Spalt im Feuer entstand, rief sie: »Spring! Ich komme nach.«
Es zischte und dampfte, dann war Luca verschwunden. Dichte Schwaden stiegen vor Milla auf und versperrten ihr die Sicht. Als sie sich wieder gelegt hatten, war die Feuerwand zusammengebrochen. Ein schwach züngelnder Lichtkreis umgab nun den blauen See, so niedrig, dass sie mühelos darüber hinwegsteigen konnte.
Aber wo war Luca?
»Luca? Luca!« Sie rief seinen Namen, wieder und wieder.
Doch es kam keine Antwort.
Nach fast endlosen Minuten war Milla am Ufer des Sees angelangt. Inzwischen hatte sich erneut Wind erhoben, der an ihren Haaren und ihrem Rock zerrte. Sand war nun überall: in ihren Augen, den Ohren. In jede Körperöffnung schien er sich geschmuggelt zu haben.
Sie versuchte sich zu schützen, rieb sich die schmerzenden Lider – bis sie plötzlich Luca erblickte.
Er lag auf der Insel in der Seemitte, bewegungslos. Am Kopf hatte er eine blutende Wunde. Neben ihm saß der Kater, hoch aufgerichtet, statuengleich.
Milla erschrak zutiefst – die Bilder aus der Basilika waren wahr geworden! Sie durfte ihn nicht lieben – niemals hätte sie sich bereiterklären sollen, den Pakt mit ihm zu vollziehen!
Aber wenn sie ihm jetzt nicht ihren Atem schenkte, war Luca verloren.
Dazu jedoch musste sie dieses dunkle, zutiefst unheimliche Gewässer durchqueren. Alles in ihr sträubte sich dagegen – aber es war der einzige Weg, zu ihm zu gelangen!
Milla fiel auf die Knie und rief San Marco an. Dann schickte sie ein stummes Stoßgebet an San Teodoro hinterher.
Sie ließ ihre Schuhe am Ufer zurück und watete langsam in das tiefe Blau hinein.
Ein Raunen erhob sich, als der Patriarch das Deck des Bucentauro betrat. Zwei junge Messdiener, fast noch Kinder, folgten ihm. Wie er waren auch sie bis zu den Füßen in strenges Schwarz gehüllt, von dem ihre blendend weißen Krägen als Zeichen der Unschuld und Reinheit grell abstachen.
Einer von ihnen reichte dem Patriarchen einen goldenen Weihrauchkessel, den er bedächtig zu schwingen begann. Immer mehr von dem duftenden Rauch quoll heraus. Ein paar der geladenen Gäste begannen zu hüsteln. Eine Dame griff sich an die Brust und sank ohnmächtig zu Boden.
Mit grimmiger Miene verfolgte Doge Loredan, wie sie wiederbelebt und danach weggebracht wurde. Dann fixierten seine hellen Augen den Priester.
Als der Patriarch noch immer schwieg, kam stärkere Unruhe auf.
Würde der Patriarch den Segen für Dogen und Meer verweigern?
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