Feuer und Glas - Der Pakt
»Und weißt du, was ich beim Umziehen in meinen Taschen gefunden habe?« Sie hielt Milla etwas entgegen. »Unsere Wohnungsschlüssel! Cassiano hat vergessen, sie uns abzunehmen.«
»Gib sie mir!«, verlangte Milla. »Ich muss noch einmal zurück.«
»Das ist viel zu gefährlich! Hast du nicht gehört, womit er gedroht hat?«
»Ich habe keine Angst. Und ich will ihm nicht all unsere Erinnerungen überlassen. Der Schmuck, den Papa dir geschenkt hat. Mein gläsernes Kreuz. Ysas Lieblingsstola – willst du das alles diesem Geizhals in den Rachen werfen?«
Es wurde warm auf ihrer Brust. Keine Lüge, aber eben auch nicht die ganze Wahrheit.
»Milla hat recht«, hörte sie Luca sagen. Langsam kam er näher. »Ich werde sie rudern!«
»Und wenn man meine Tochter dabei erwischt? Schließlich ist sie ja auch gestern vor der Taverne beobachtet worden!«
»In meiner Gondel schützt die felze sie vor unliebsamen Blicken. Und den Weg bis zur Wohnung …«
»… schaffe ich allein«, rief Milla. »Dann lass uns gleich aufbrechen!«
»Nicht, bevor du gefrühstückt hast.« Nikos drängte sie an den Tisch, der auf der schattigen Terrasse stand.
Milla nahm ein Stück Brot und trank zwei Becher von dem stark gesüßten Minztee, der ihren Durst erstaunlich gut löschte.
»Willst du nicht noch von dem Feigenkuchen probieren?« Mit einem breiten Lächeln stand Ganesh vor ihr. »Der schmeckt so gut, als hätte ich ihn selbst gebacken!«
Milla griff zu, und für einen kurzen Moment vergaß sie alles, was jenseits dieses Gartens lag. Die warme Sonne, das laue Lüftchen, das aufgekommen war, das große, verschwenderisch ausgestattete Haus, die Liebenswürdigkeit, die ihr entgegenschlug. Dann jedoch holte sie ein, was gestern geschehen war.
»Dieser große Brand«, sagte Nikos. »Marin und ich haben überlegt, wer dafür verantwortlich sein könnte.«
»Wo ist Marin überhaupt?«, fragte Milla.
»Er will mit einigen Mitgliedern des Großen Rats sprechen, aber ich habe wenig Hoffnung, dass sie ihn anhören werden. Vor allem sollten sie dazu selbst den Auftrag gegeben haben …«
»Ihr verdächtigt die Feuerleute?«, rief Milla.
»Wer Gondeln anzündet, könnte auch Häuser und Brücken niederbrennen. Ein schrecklicher Gedanke, doch leider kein ganz abwegiger. Zu diesem Schluss sind wir gekommen.« Sein stattlicher Bauch erzitterte leicht.
»Aber mein Vater gehört doch zu ihnen!«, rief Milla. »Weshalb sollten sie dann ausgerechnet unsere Taverne in Brand stecken? Vielleicht war es nur ein Unfall …«
»Glaubst du das wirklich, Milla?« Nikos’ Stimme klang eindringlich. »Die Feuersbrunst war gewaltig. Da muss jemand nachgeholfen haben!«
»Ich weiß bald gar nichts mehr«, sagte sie leise. »Wie können Menschen zu so etwas fähig sein! Die Kinder, die alten Leute … so viel Trauer in der ganzen Stadt!«
»Wir führen nicht nur auf dem Festland Krieg«, sagte Luca. »Der Krieg ist längst in unseren Herzen angekommen. Und es wird noch schlimmer werden, solange keine Einsicht erfolgt.«
Seine Lagunenaugen schienen bis in ihr Innerstes zu dringen.
Der Schlüssel aus Wasser und Feuer … Nur Feuer und Wasser gemeinsam ergeben ein Ganzes …
Noch hatte sie den Auftrag des Vaters nicht erfüllt. Sein Brief war in der verlassenen Wohnung zurückgeblieben. Wenigstens ihn musste sie so schnell wie möglich in Sicherheit bringen, bevor Cassiano ihre Sachen durchwühlen würde. Milla konnte keine Minute länger warten.
»Deine Gondel ist bereit?«, fragte sie an Luca gewandt. »Dann bin ich es auch.«
»Nur wenn du versprichst, keine Dummheiten zu machen!«, rief Savinia.
»Versprochen«, murmelte Milla.
Als Luca aufstand, folgte sie ihm zum Bootshaus.
»Warte!«, rief er, als sie fast am Wasser angelangt waren, und blieb so abrupt stehen, dass sie fast in ihn hineingelaufen wäre. Sein Atem streifte ihre Haut, und Milla überkam leichter Schwindel. »Weißt du, wer du bist?«
»Das weiß ich sehr genau! Was soll diese Frage?«
»Weißt du, wer du bist?«, wiederholte Luca. »Kennst du dich wirklich, Milla?«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte sie.
»Du warst gestern in der Taverne?«
Sie zögerte, dann nickte sie.
»Hat dich dort etwas sehr wütend gemacht?«
Ich musste weinen, weil du in meinen Armen fast gestorben bist, dachte Milla und verspürte abermals einen dicken Kloß im Hals. Und noch etwas haben die Bilder in der Basilika mir gezeigt: Dass ich mich opfern muss, um dich zu retten …
Doch wie
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