Feuer und Glas - Der Pakt
warte es auf Milla. Sie nahm es an sich und ging weiter.
Vor Ysas Schwelle blieb sie stehen. Die Tür stand angelehnt, doch sie brachte es nicht über sich, hineinzugehen.
Nur meinetwegen ist sie in Gefahr, dachte Milla, während sie hinüber in ihr Zimmer lief. Wenn ich den Admiral enttäusche, steht ihr Leben auf dem Spiel. Er ist zu allem fähig. Ich hätte Ysa den Brief längst zeigen sollen …
Sie kniete vor der Kleidertruhe, griff hinein und wurde fahrig, als ihre Hände nur Stoff ertasteten.
War Cassiano schneller gewesen?
Endlich begann es unter ihren suchenden Fingern zu knistern. Das zusammengefaltete Pergament!
Milla zog es heraus und drückte erleichtert ihre Lippen darauf.
Jetzt band sie den schmutzigen Rock auf, stieg hinaus und wühlte in ihren mageren Vorräten, bis sie den passenden Ersatz entdeckt hatte. Der grüne Rock, der noch am besten erhalten war, besaß eine eingenähte Tasche, in der sie den Brief verschwinden lassen konnte.
Jetzt brauchte sie nur noch ein frisches Mieder.
Auch hier war die Auswahl alles andere als groß. Kurz entschlossen nahm Milla das, das zuoberst lag. Danach begann sie die Schnüre ihres rußigen Mieders zu lösen und war gerade dabei, das Säckchen mit dem Ruder herauszunehmen …
Hüsteln ertönte.
Hastig schob sie es wieder zurück.
Als sie herumfuhr, stand Marco vor ihr.
»Was fällt dir ein?« Mit bebenden Fingern brachte Milla die Schnüre wieder in Ordnung. Ihr Herz klopfte hart. Was hatte er alles gesehen? Den Brief? Den Beutel? »Wie lange bist du schon hier?«
»Lang genug. Ich wusste, du würdest zurückkommen.«
Sie starrten sich an.
»Hast du jetzt vor, mich wieder ins Arsenal zu schleppen?«, fragte Milla aufsässig, erleichtert darüber, dass ihr anfängliches Erschrecken gerade dabei war, in hellen Zorn umzuschlagen. Wütend fühlte sie sich viel stärker. »Gefesselt und geknebelt, wie ihr es am liebsten habt? Fühlst du dich dann stark?«
»Das liegt ganz bei dir.« Marco bedachte sie mit einem seltsamen Blick. »Du kannst nicht immer davonlaufen.«
»Ach ja? Gestern konnte ich es.«
Er zuckte leicht zusammen, was Milla gefiel.
»Damit machst du alles nur noch schlimmer. Und das weißt du.«
»Weil sie Ysa dann töten werden?«
»Weil der Admiral der Herrscher des Arsenals ist und seine Macht sehr weit reicht. Er will mit dir sprechen. So war es vereinbart.«
»So hat er es befohlen«, rief Milla. »Mich hat er nicht nach meiner Meinung gefragt!«
»Wenn du vernünftig bist, werden wir keine Schnüre brauchen.«
»Und wenn nicht?«
»Dazu bist du viel zu klug, Milla. Man muss wissen, wenn man verloren hat. Meine Gondel wartet. Kommst du?«
Meine Gondel auch, hätte sie ihm beinahe entgegengeschleudert, aber sie ließ es bleiben. Luca würde unruhig werden, wenn sie nicht zurückkam.
Warum hatte sie ihm nichts von dem Ultimatum erzählt?
Dann wüsste er jetzt wenigstens, wo er sie zu suchen hatte.
Millas Blick fiel auf das Kästchen, den schmutzigen Rock, das Bett, in dem sie so oft geschlafen und geträumt hatte.
Alles nur Dinge, dachte sie. Dinge, die ich vielleicht niemals wiedersehen werde.
Langsam ging sie Marco entgegen.
Er zog eine Miene, als ob er sich schämte. Er sollte Gelegenheit erhalten, sich noch mehr zu schämen!
Milla spürte, wie sich die Flamme in ihr erhob. Für den Augenblick war es so genug. Sie würde ihr mehr Nahrung geben, sobald sie vor dem Admiral stand.
Jetzt war sie Marco so nah, dass sie jede Einzelheit in seinem Gesicht sehen konnte. Die hellen Augen. Die rötlichen Brauen. Unzählige Sommersprossen. Die festen Lippen, die sie einmal auf ihrer Haut gespürt hatte.
Milla ließ ein paar Augenblicke verstreichen, bevor sie zu sprechen begann.
»Du hast mich an meinen Vater erinnert«, sagte sie schließlich. »Damals, als ich dich am Hafen gesehen habe. Wie konnte ich mich nur derart täuschen! Es gibt keinerlei Ähnlichkeit zwischen euch. Mein Vater ist Leandro Cessi, der Feuerkopf. Du bist nichts als ein billiger Handlanger.«
»Gib mir die Gondel.« Die Stimme des Admirals war gefährlich ruhig.
»Das kann ich nicht«, erwiderte Milla.
Sie standen im gleichen Raum wie beim letzten Mal, wiederum mit Marco als Drittem. Vor der Tür waren abermals Federico und Paolo postiert, was sie keinen Augenblick vergaß.
»Das solltest du noch einmal überdenken«, sagte der Alte. »Denn es wird Konsequenzen nach sich ziehen.«
»Wie kann ich Euch etwas geben, das ich nicht habe?«, rief Milla.
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