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Feueratem

Feueratem

Titel: Feueratem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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übergeben wurden, damit sie zwischen Himmel und Erde verbrennen konnte.
    Diese Ehre gab es nur für ehemalige Anführer des Clans, und abgesehen von dieser einen Gelegenheit, hatte Teres noch nie erlebt, dass der Drache Menschen durch die Lüfte trug. Einmal hatte sie ihre Mutter gefragt, warum nur Drachen fliegen konnten und nicht auch Menschen, und ihre Mutter hatte ein Gesicht gemacht, als sei das eine lästerliche, furchtbare Frage, was Teres sofort dazu brachte, nachzusetzen, dass schließlich auch Mücken fliegen konnten. Es war nichts Besonderes, hatte sie sich gesagt, als man sie ohne Abendbrot ins Bett geschickt hatte.
    Aber wenn sie einen Drachen in der Luft sah, brachte sie es trotzdem nicht über sich, wegzublicken. Genauso wenig, wie sie es jetzt über sich brachte, nein zu sagen. Im Gegenteil: Es kostete sie einiges, nicht offen begeistert zu sein und sichweiterhin an all die Gründe zu erinnern, warum sie dem Drachen grollte.
    „Du bist ein Tier“, erklärte sie daher, während sie auf ihn zuging.„ Also kannst du gar nicht beurteilen, was Menschen fühlen.“ Ein Tier allerdings, das sie herausgefordert hatte, und dieser Herausforderung konnte sie unmöglich widerstehen.
    Teres kletterte auf den Rücken des Drachen, wie sie es oft genug getan hatte, um ihn zu säubern. Ein Ruck ging durch seine Gestalt, als er sich auf seine Pranken hob. Sie schwankte und wäre um ein Haar wieder heruntergestürzt, bis es ihr gelang, das Seil zu ergreifen, das um seinen Hals geschlungen war. Sie kannte es gut, hatte es gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern geknüpft, wie schon viele seiner Art. Es bestand aus unzähligen ineinander verschlungenen Einzelsträngen, und jedervon ihnen war pure Seide. Schiffstaue aus Hanf oder gar die Eingeweide, aus denen Bogenschnüre gemacht wurden, kamen für den Drachen erst gar nicht in Frage, das behaupteten jedenfalls Teres’ Eltern. Jetzt, da sie die Seide wieder in ihren Händen hielt, fragte sich Teres, ob sie wohl ein Teil des Zaubers um ihn war. Doch nein, so einfach konnte es gewiss nicht sein.
    Während der Drache die Höhle verließ, klemmte sie ihre Beine zwischen das Seil und die Schuppen und presste sich gegen den Hals – nicht einen Moment zu früh.
    Die Muskeln, die unter den Schuppen des Drachen lagen, spannten sich an, das konnte sie fühlen. Gleichzeitig entfaltete er seine Flügel, die in der Höhle immer eingeschlagen waren, und für einen Moment schienen sie den Himmel zu verdecken.
    Als der Drache sich in die Lüfte erhob, spürte Teres den Wind mit der Macht einer gewaltigen Hand über sich hinwegfegen. Einer ihrer eingeflochtenen Zöpfe löste sich, obwohl sie sich das Haar zu einem Kranz festgesteckt hatte, und schlug ihr um die Ohren. Sie spürte ihn kaum; der plötzliche Druck in den Ohren, das rasende Gefühl des Steigens löschte alles andere aus.
    Teres brauchte einige Zeit, bis sie sich wieder auf etwas anderes besinnen konnte als die Freiheit, nicht länger an den Erdboden gefesselt zu sein, ehe sie etwas anderes wahrnahm als das Sternenlicht, in das sie hineinzustürzen schien. Die Sterne, die Nacht, der Wind, der ihr und dem Drachen jede Schwere zu nehmen schien und sie umherwirbelte, als seien sie Herbstlaub: Es war wie ein Rausch.
    Wenn ich jetzt von seinem Rücken falle, wird nichts als zerschmettertes Fleisch von mir übrig bleiben. Der Gedanke hätte ihr mehr Angst machen müssen, als es der Fall war. Ihre Schwester Anis hatte einmal einen Schoßhund besessen, der beim wilden Spielen aus einem Turmfenster der Burg sprang. Sie waren alle verzweifelt hinausgerannt, um nach dem kleinen Wesen zu suchen, aber was von seinem Körper noch übrig gewesen war, hatten die Erwachsenen schnell vor den Kindern verborgen.
    „Siehst du nun, wie wenig du erst weißt?“, fragte der Drache, so deutlich hörbar wie in seiner Höhle, und Teres erinnerte sich wieder, dass sie ihn hasste. Sie versuchte, ihm zu antworten, doch der Wind riss ihr die Worte von den Lippen, als wolle er sie zerfetzen, und so verstummte sie wieder und dachte, dass sie ihm später antworten würde, auf dem Boden. Nun aber gab es nichts außer dem Flug und der sternenbeglänzten Nacht, und sie erlaubte sich, dies alles aus vollen Zügen zu genießen. Dann spürte sie, wie sich die Muskeln in seinem Hals zusammenzogen und der warme Körper unter ihr noch etwas heißer wurde; ein Geräusch, das sie an das Donnern nach Blitzen erinnerte, zerschnitt die Nacht, und um sie

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