Feueraugen III. Das Schloss
zertrümmert hat und Zeramov ärgert sich grün, weil er keinen Notizblock mehr hat, in den er kommende Erlebnisse und Einsichten eintragen könnte.
* * *
Eine knappe Stunde später haben sie sich Pferde beschafft und im Trab geht es durch sich verdichtende Nebel in Richtung auf die bergige Küstenregion dahin. Kalfater, Caulk und Baldwin reiten nebeneinander an der Spitze, dahinter kommen gleich Rodolphe und Cassius zusammen mit X und Zeramov.
Der Hof, den sie wegen der Pferde überfallen haben, ist natürlich der Tu Gent Besitz gewesen - und damit scheint auch die letzte Lücke geschlossen. Sie befinden sich in einer Welt, die genau das bietet, was sich die Baldwinschen erwartet haben. Eine intakte Welt fremder, ferner Zeit, in der die Feueraugen-Brüder in Unwesen treiben können!
"Eigentlich sind alle unsere Zweifel durch eine einzige Tatsache beseitigt worden." stellt Zeramov fest. "Wir erkennen, dass wir einer Sage nachgegangen und dabei in die Irrealität einer totalen Sagenwelt hineingeraten sind. Das wissen wir jetzt und können uns ganz auf das konzentrieren, was uns an dieser Sagenwelt interessiert: Schloss Rachass und die Rächer!"
Da Zeramov ziemlich laut gesprochen hat und sie alle nahe beisammen geblieben sind, konnte Kalfater die Ausführung mit anhören. Er bleibt jetzt ein wenig zurück und kommt neben Zeramov zum Stehen. Auch die anderen halten ihre Pferde an.
"Ich habe den Weg hierher als die 'Irrfahrt der Ungläubigen' bezeichnet. Wer könnte sich schon vorstellen, eine Sagenwelt zu entdecken und wer könnte voll und ganz zu dieser märchenhaften, unglaublichen Tatsache stehen? - Sie haben die Welt gefunden - ohne zu glauben. Sie wollten sie finden, weil sie nicht unverrichteter Dinge umgekehrt wären. Sie nahmen jeden Anhaltspunkt, der sich gerade bot und wenn sie später an manchen der Hinweise aus den Versen zweifeln mussten, sie hielten durch, weil sie sich in ihr Vorhaben verstiegen hatten. Sie konnten ans Ziel kommen ... weil sie wirklich wollten!"
"Aber wie ernst darf man dann die Verse des Gedichtes überhaupt nehmen?" möchte Baldwin jetzt erklärt bekommen.
"Solange man ein Ziel erreichen möchte, hat man nur eine Richtung festgelegt", beginnt Kalfater seine Ausführungen. "Mittel und Wege stehen von vorneherein nicht fest. Hat man nun ein paar Hinweise, dann hält man sich an diese, weil es ja nichts anderes gibt, woran man sich orientieren könnte. Die Verse des Gedichtes sind sehr aufschlussreich und sie beinhalten eine Fülle an philosophischen sowie sozialpolitischen Thesen. Aber sie kennen nur einen kurzen Auszug des gesamten Werkes und selbst in diesem finden sich sehr viele widersprüchliche Hinweise. Der Weg nach Rachass wird nicht beschrieben - er wird erahnt und erfühlt. Rachass ist ein Phänomen ... und man kann es nur finden, wenn man sich dazu stellt, dass darum herum vieles nicht stimmt!"
"Die Verse sind natürlich sehr interessant!" führt Caulk fort. "Wir haben erstaunliche Parallelen zu Schreckensvisionen für den Jüngsten Tag auf Erden herausgefunden. Wichtiger ist noch die Bedeutung der Person des Xaber Dracer ... oder Xabrudracaras, wie es an anderer Stelle in einer der Schriften heißt."
"Man könnte ihn als einen der Racheengel des Jüngsten Gerichtes verstehen!" damit schaltet sich jetzt Kalfater wieder ein.
"Die Sage ist in kräftigen Farben gezeichnet!" fährt Caulk fort. "Was hier eindrucksvoll geschildert wird, ist zugleich komprimiert auf eine Zeitspanne, die sehr kurz wirkt. Sie kennen ja die Version mit den Genter Brüdern und alle dem."
"Schon ... aber der Xaber Dracer?" Emma kann nicht verstehen, worauf die beiden Alten hinaus wollen.
"Liebes Kind ..." Kalfater lächelt ihr freundlich zu. "... irgendwann einmal hat sich jemand anhand einiger Tatsachen die Sage in ihrem Grundzug ausgedacht. In Jahrhunderten ist sie ausgebaut worden und heute kennen wir die komplexe Ganzheit der Sage. Genaugenommen können wir auch ein Geschichtsbuch nicht lesen, ohne die Ganzheit bis zur Gegenwart zu kennen. Die Sage vom Feueraugen-Orden ist exemplarisch für das menschliche Tun. Jeder denkt sich irgendwann einmal, dass man die Ungerechten, Mächtigen und Unantastbaren am Besten einfach bestrafen und dabei eliminieren sollte - und wenn man ihnen die gerechte Bestrafung über die Realität hinaus für den Jüngsten Tag verheißt. Fromm oder ungläubig spielt hier keine entscheidende Rolle. Der Sage vom Feueraugen-Orden steht
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