Feuerbande
noch vorhin unten auf der Straße. Und irgendwo ganz tief in seinem Inneren glaubte ich fast, ein Schnurren zu spüren...
„Lassen wir ihn erst mal ausruhen“, beschloss Lilly. „Ich schau mal, ob ich noch einen Korb oder so etwas für ihn finde. Zum Glück ist der Chef vorhin zu einem Außentermin gefahren, der kommt erst mal so schnell nicht zurück.“
Ich nickte nur und eilte in den Waschraum davon, um mich wieder so herzurichten, dass nicht jeder vor mir erschrak. Mein blasses Gesicht mit den grünbraunen Augen starrte mich aus dem Spiegel heraus an, während ich die zerschrammten Hände wusch und versuchte, immer noch zu verstehen, was da vorhin geschehen war.
Ich konnte es nicht. Es war einfach so schnell gegangen. Fast ein Wunder, dass ich da mit heiler Haut davongekommen war.
Wie bei der Sache mit dem Dachziegel neulich, dachte ich verstört. Der Ziegel, der mir direkt vor die Füße gefallen und auf dem Bordstein zerschellt ist, um ein Haar hätte er mich getroffen. Oder der Ast von dieser alten Eiche, dem ich nur knapp ausweichen konnte, als er plötzlich heruntergesaust kam. Vielleicht gab es auch noch mehr solcher Ereignisse, doch das wollte ich jetzt gar nicht mehr wissen. Ich wollte es nicht.
Entweder entwickelte ich langsam Paranoia, oder irgendwer – irgendetwas? – hatte es auf mich abgesehen.
So, jetzt war er endlich heraus, der Gedanke, der mir auf den Magen drückte.
Zitternd drehte ich das kalte Wasser ab und starrte wieder mein Spiegelbild an. Wer sollte denn mir nach dem Leben trachten? Ich kannte nicht sehr viele Menschen, und ganz sicher hatte ich mir niemand von ihnen zum Feind gemacht. Niemand jedenfalls, von dem ich wüsste. Nein, nein, da war die Verfolgungsangst schon die wahrscheinlichere Erklärung.
Besser jedenfalls, einen Psychologen zu brauchen, als einen Bestatter.
Und was stand ich hier überhaupt herum und machte mir bedrückende Gedanken, die mir gar nicht gut taten? Mit einem tiefen Atemzug schickte ich meinem Spiegelbild ein zaghaftes Lächeln, das aufmuntern sollte, aber irgendwie genauso verloren aussah, wie ich mich fühlte.
Lilly hatte es tatsächlich geschafft, einen Korb für den Kater aufzutreiben, und bereitete ihm darin gerade ein Lager, als ich zu ihr zurückkehrte. Und ich beschloss, das Tier nach Feierabend erst einmal mit nach Hause zu nehmen und dann in Ruhe zu überlegen, was jetzt zu tun war. Wenn mein Gehirn wieder ganz in Ordnung sein würde.
„Eva, wie machst du das nur immer mit deinen Pflanzen?“ Lilly schob die schweren Töpfe beiseite, um Platz für den Katzenkorb zu schaffen. „Meine gehen immer ein, egal, was ich mache. Aber bei dir wächst alles, als hättest du einen Dschungel.“
„Ich ersäufe sie nur nicht und lasse sie auch nicht verdursten.“ Meine Güte, ich konnte mich kaum auf etwas konzentrieren. „Lilly, meinst du, es gibt Probleme, wenn ich gleich schon nach Hause gehe? Sie sollen es vom Zeitkonto nehmen. Irgendwie fühle ich mich doch noch ziemlich durch den Wind.“
„Du solltest vielleicht doch zum Arzt gehen“, meinte Lilly und sah mich dabei prüfend an. „Zumindest aber mit der Katze.“
Ich warf einen Blick in den Korb auf das Tier, das nun ruhig zu schlafen schien.
„Dem geht’s besser als mir“, murmelte ich. „Okay, Lilly, bis morgen also. Hast noch was gut bei mir.“
Fast kam es mir vor, als hätte der Kater bei diesen Worten ein Auge geöffnet, aber das hatte ich mir sicher nur eingebildet.
Mit dem Korb über dem Arm stieg ich die Treppe zu meiner Dachgeschosswohnung hinauf. Mit zitternden Händen schloss ich auf, betrat den Flur und ließ die Tür hinter mir zufallen. Weil der Kater immer noch schlief, setzte ich den Korb erst einmal auf dem Wohnzimmerfußboden ab und versorgte dann meine Zimmerpflanzen. „Alles wird gut“, flüsterte ich, zu ihnen und zu mir selbst und dem Tier, doch es beruhigte mich nicht. „Alles wird gut. Irgendwie. Das hoffe ich doch.“ Mit der Kanne ging ich in die Küche, um neues Wasser nachzufüllen.
Und erschrak mich fast zu Tode, als ich ein Geräusch im Türrahmen hinter mir hörte.
Ich fuhr herum und sah den Mann, der dort stand und mich beobachtete, und im nächsten Moment schrie ich auch schon los und konnte auch nicht damit aufhören, als plötzlich nur noch die Katze dort hockte, mit unergründlichen grünen Augen.
Wie ich ins Wohnzimmer gekommen bin, weiß ich nicht mehr, doch als mein Gehirn wieder funktionierte, saß ich auf der Couch
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