Feuerbande
Schnee verbarg auch hier den Boden, einen richtigen Weg gab es nicht. In allen Richtungen wuchsen Bäume, und ich war schon dankbar dafür, dass sie es taten und ich nicht erneut die endlose Leere der Ebene zuvor und ihre Einsamkeit ertragen musste.
„Komm, lass uns gehen“, sagte ich zu der Katze. „Es wird wohl erwartet, dass ich das tue. Und wir können hier ja auch nicht bleiben.“
Die Katze antwortete nicht und schnurrte.
Ich wählte den Weg geradeaus nach vorn, es war einerlei, weil doch alles gleich aussah. Manchmal musste ich mich unter einem schneebedeckten Ast hindurch beugen, manchmal rieselten feine Flocken, die der Wind heruntertrieb, in meinen Kragen. Nicht, dass es darauf noch angekommen wäre. Ich stapfte einfach immer weiter, weil es sich irgendwie richtig anfühlte, richtiger jedenfalls, als einfach nur zu verharren.
Einmal blieb ich stehen und schob den Schnee beiseite, nur aus reiner Neugier heraus. Es war Waldboden darunter, kein Eis, sondern feste, braune Erde. Ich atmete zufrieden tief durch und setzte meinen Weg weiter fort.
Es war alles so zeitlos hier, dass ich nicht sagen kann, wie lange es dauerte, bis sich plötzlich die immer gleichen Bäume um mich her teilten und Raum für eine Lichtung gaben. Auf dieser Lichtung stand ein windschiefes Haus, und aus dem Schornstein dieses Hauses stieg eine dünne Rauchfahne empor.
Wir waren nicht länger allein!
„Ob das gut oder schlecht ist, wissen wir nicht“, meinte ich zu der Katze. „Aber nachsehen müssen wir, soviel ist klar, denn sonst wären wir nicht hierher gekommen.“
Und so steuerten wir direkt auf das Häuschen zu und klopften an die Tür aus rauem Holz, während ich mir den Schnee von den Stiefeln abtrat.
Niemand öffnete, und nach einer Weile drückte ich fest gegen die Tür. Sie war nicht versperrt und ließ uns hinein, und nachdem sich unsere Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten, das hier herrschte, erkannte ich einen Kamin, in dem Feuer brannte, einen Tisch, einen Stuhl und ein Bett an der Wand. In der Nähe des Fensters, das durch einen Laden verschlossen war, stand eine Art Vitrinenschrank, in dessen Glastüren sich der Feuerschein spiegelte.
„Es scheint niemand hier zu sein“, erklärte ich der Katze und damit mir selbst. „Aber wer würde ein Feuer unbeaufsichtigt brennen lassen, noch dazu in einem Raum ganz aus Holz?“
Die Katze antwortete nicht, und natürlich hatte ich auch nicht damit gerechnet.
Ich sah mich noch ein bisschen um, um die Entscheidung hinauszuschieben, was ich als nächstes machen sollte, und mein Blick fiel wieder auf den Schrank mit seinen reflektierenden Scheiben. Er wirkte ein wenig deplatziert in dem Raum, in dem sonst alles so schlicht und einfach gehalten war. Was mochte darin aufbewahrt werden?
Ich ging hinüber und schaute hinein, und vor Schreck wäre ich beinahe zurück gesprungen. Aus dem Schrank heraus, hinter dem Glas, blickte mir eine alte Frau entgegen, mit graublauen Augen und rundem Gesicht, das Haar zu einem altmodischen Knoten geschlungen.
„Was macht ihr denn alle mit mir“, stöhnte ich. „Soll ich dich denn auch befreien? Wer hat sich denn so etwas ausgedacht?“
In der Tür steckte ein Schlüssel, und ich drehte ihn herum. Knirschend ließ sich die Schranktür öffnen, und die alte Frau schaute mich freundlich an.
„Guten Tag“, grüßte sie. „Ich heiße Elsa. Könnten Sie mir wohl heraus helfen? Ich bin nicht mehr die Jüngste, wissen Sie.“
„Natürlich“, sagte ich und bot ihr den Arm, während sie ihre Beine nach draußen schob.
Und in diesem Augenblick berührte sie meine Hand mit der Glocke darin – wo war denn die jetzt wieder hergekommen?
Die Glocke klingelte, ein drittes Mal.
Ja, und da stand ich doch plötzlich im Hinterhof meines wohlvertrauten Mietshauses, ringsherum dunkle Häuserfronten, und schaute in den sternenklaren Nachthimmel hinauf. Ich war völlig verwirrt und verstand gar nichts mehr. War ich vielleicht schlafgewandelt? Aber in meiner Hand hielt ich noch immer die Glocke, und ich wusste genau, dass ich so etwas vorher nie besessen hatte.
Eine kühle Brise strich über meine Haut, und ich wollte nur noch hineingehen und diese verrückte Nacht hinter mir lassen. Da bemerkte ich eine Bewegung in der Ecke des Hofes, kaum wahrnehmbar in der Dämmerung, zwischen einigen abgestellten Müllsäcken. Ich konnte nicht anders, ich musste nachsehen, was es war, in dieser seltsamen Nacht, in der ich an meinem Verstand zweifeln
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