Feuerkind
Wenn -
»Wenn ich überhaupt noch aufhören kann«, flüsterte sie.
Sie fing wieder an zu weinen. Sie hatte sich noch nie so entsetzlich einsam gefühlt.
5
Die Beerdigung war schlimm.
Andy hatte gedacht, daß alles gut verlaufen würde; er hatte keine Kopfschmerzen mehr, und schließlich war die Beerdigung für ihn nur ein Vorwand. Er wollte nur eine Zeitlang mit Cap allein sein. Er hatte Pynchot nicht gemocht, obwohl Pynchot einfach zu unbedeutend war, um ihn hassen zu können. Seine kaum verhüllte Arroganz und sein unverhohlenes Vergnügen daran, sich einem Mitmenschen gegenüber in einer überlegenen Position zu befinden – all diese Dinge und Andys große Sorge um Charlie ließen bei ihm kaum Bedauern darüber aufkommen, daß er in Pynchot das Echo ausgelöst hatte, das den Mann schließlich umgebracht hatte.
Diese Echowirkung hatte er schon früher erlebt, aber es hatte immer eine Möglichkeit gegeben, die Dinge wieder zurechtzurücken. Zu der Zeit, als er New York City fluchtartig verlassen mußte, hatte er darin schon eine gewisse Fertigkeit entwickelt. Tief in jedem menschlichen Gehirn schienen Minen gelegt zu sein, tief eingewurzelte Ängste und Schuldgefühle, schizophrene und paranoide Impulse – sogar mörderische. Geistige
Manipulation konnte extreme Beeinflußbarkeit verursachen, und wenn der äußere Anstoß auf einen jener dunklen Pfade stieß, konnte er zerstörerische Wirkung haben. Eine der Hausfrauen, die an seinem Schlankheitskursus teilnahm, hatte beängstigende katatonische Schübe erlitten. Einer der Geschäftsleute hatte über einen krankhaften Drang berichtet, seinen Dienstrevolver aus dem Schrank zu holen und damit russisches Roulett zu spielen. Dieser Drang stand in seinen Gedanken irgendwie mit einer Erzählung von Edgar Allan Poe, »William Wilson«, in Verbindung, die er schon als Schüler gelesen hatte. In beiden Fällen war es Andy gelungen, das Echo zu stoppen, bevor es sich beschleunigen und schließlich tödlich auswirken konnte. Bei dem Geschäftsmann, einem drittklassigen, bescheidenen Bankbeamten mit aschblondem Haar, hatte es genügt, noch einmal zuzustoßen und ihm zu suggerieren, daß er die Geschichte von Poe überhaupt nicht gelesen hatte. Die Verbindung – worin sie auch bestanden haben mochte -war abgerissen. Eine Chance, das Echo auszuschalten, hatte er bei Pynchot nie gehabt.
Während sie durch einen kalten Herbstregen zum Begräbnis fuhren, sprach Cap unablässig über den Selbstmord des Mannes; er versuchte offenbar, den Vorfall innerlich zu verarbeiten. Er sagte, er habe es nicht für möglich gehalten, daß ein Mann einfach … seinen Arm hineinhalten konnte, wenn die Messer herumwirbelten. Aber Pynchot hatte es getan. Irgendwie hatte Pynchot das fertiggebracht. In diesem Augenblick war die Beerdigung für Andy nur noch unangenehm.
Die beiden nahmen nur an der Zeremonie am Grab teil und standen ein wenig abseits von der kleinen Gruppe von Freunden und Familienangehörigen, die sich unter schwarzen Regenschirmen zusammendrängten. Andy fand, daß es eine Sache war, sich an Pynchots Arroganz zu erinnern, an die caesarenhaften Allüren eines kleinen Mannes, der keine wirkliche Macht besaß; sich an sein ständiges nervöses Lächeln zu erinnern. Eine ganz andere Sache war es, seine bleiche, verhärmte Frau in ihrem schwarzen Kostüm und mit ihrem verschleierten Gesicht, die beiden Kinder an der Hand, vor sich zu sehen (das jüngste war etwa in Charlies Alter, und sie wirkten beide wie betäubt). Und sicherlich war ihr klar, daß alleFreunde und Verwandten wußten, wie man ihn gefunden hatte: mit ihrer Unterwäsche bekleidet, der rechte Arm bis zum Ellbogen verstümmelt, angespitzt wie ein lebendiger Bleistift, sein Blut überall verspritzt und Fetzen seines Fleisches -
Andy wurde übel. Er kämpfte dagegen an. Die Stimme des Pfarrers hob und senkte sich ohne erkennbaren Sinn.
»Ich will gehen«, sagte Andy. »Können wir gehen?«
»Ja, natürlich«, sagte Cap. Er sah selbst blaß und alt aus und schien sich nicht besonders wohl zu fühlen. »Ich habe in diesem Jahr schon an so vielen Beerdigungen teilgenommen, daß ich froh wäre …«
Sie verließen die Gruppe, die um das unechte Ziergras und die Blumen herumstand, die unter dem starken Regen schon die Köpfe hängen ließen und ihre Blütenblätter verloren, und ließen auch den Sarg hinter sich, der auf Brettern über der Grube stand. Seite an Seite gingen sie über den gewundenen Kiesweg zu Caps
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