Feuerkind
sich Sorgen um dich zu machen.«
»Es ist nicht mein Pferd«, sagte Charlie. Ihre Stimme klang heiser. »Nichts hier gehört mir. Nichts außer meinem Daddy, und ich … will… ihn sehen.«
»Reg dich nicht auf, Charlie«, sagte Hockstetter, und ihn ergriff nackte Angst. Wurde es im Raum plötzlich heißer? Oder war das nur Einbildung? »Bitte … reg dich nicht auf.«
Rainbird. Verdammt noch mal, dies war Rainbirds Job.
»Hör zu, Charlie«, sagte Hockstetter und setzte ein breites, freundliches Lächeln auf. »Hättest du nicht Lust, nach Six Flags drüben in Georgia zu fahren? Das ist der schönste Vergnügungspark im ganzen Süden, Disney World vielleicht ausgenommen. Eigens für dich würden wir den ganzen Park für einen Tag mieten. Du könntest mit dem Riesenrad fahren, in das Geisterhaus gehen, oder mit dem Karussell –«
»Ich will nicht in den Vergnügungspark. Ich will nur meinen Daddy sehen. Und das werde ich auch. Hoffentlich haben Sie das gehört. Ich werde ihn sehen!«
Es war heißer geworden.
»Sie schwitzen ja«, sagte Charlie.
Er dachte an die Mauer aus Schlacke, die so schnell explodiert war, daß man die Flammen nur in Zeitlupe beobachten konnte. Er dachte an das Stahltablett, das funkensprühend durch den Raum gewirbelt war. Wenn sie diese Kräfte gegen ihn richtete, wäre er ein Haufen Asche und geschrumpfter Knochen, bevor er wußte, was geschah.
O Gott, bitte –
»Charlie, auf mich wütend zu sein, hilft dir gar ni…«
»O doch«, sagte sie, und das entsprach voll und ganz der Wahrheit. »Es wird mir helfen. Und ich bin wütend auf Sie, Dr. Hockstetter. Ich bin wirklich wütend auf Sie.«
»Charlie, bitte –«
»Ich will ihn sehen« wiederholte sie. »Und jetzt gehen Sie. Sagen Sie den Leuten, daß ich ihn sehen will, und dann können sie weitere Tests mit mir machen, wenn sie wollen. Mir ist es gleich. Aber wenn ich meinen Vater nicht sehen darf, passiert etwas. Sagen Sie den Leuten das.«
Er ging. Er hätte gern noch etwas gesagt – um sein Gesicht zu wahren und die Angst zu überspielen,
(»Sie schwitzen ja«)
die sie in seinem Gesicht gelesen hatte – aber er brachte kein Wort heraus. Er ging, und nicht einmal die Stahltür, die jetzt zwischen ihnen lag, konnte ihm die Angst völlig nehmen … oder seine Wut auf Rainbird mildern. Denn John Rainbird hatte dies vorausgesehen und nichts gesagt. Und wenn er sich bei Rainbird darüber beklagte, würde der nur eiskalt lächeln und fragen, wer denn hier der Psychiater sei.
Die Tests hatten ihren Komplex hinsichtlich des Feuers so weit abgebaut, daß er nur noch einem an vielen Stellen geborstenen Erdwall glich. Die Tests hatten ihr die Praxis vermittelt, die nötig war, um aus einem groben Schmiedehammer ein Instrument zu machen, das sie mit tödlicher Präzision handhaben konnte wie ein Messerwerfer seine Messer.
Und die Tests waren für sie ein perfekter Unterricht gewesen. Sie hatten ihr ohne den Hauch eines Zweifels gezeigt, wer hier das Sagen hatte.
Sie.
4
Als Hockstetter gegangen war, ließ sich Charlie auf die Couch fallen, schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte. Eine Welle widerstreitender Emotionen überschwemmte sie -Schuldgefühle und Entsetzen, Empörung, sogar eine Art böses Vergnügen. Aber Angst überwog. Die Situation hatte sich verändert, seit sie den Tests zugestimmt hatte, und sie fürchtete, daß sie sich endgültig verändert hatte. Und jetzt wollte sie nicht nur ihren Vater sehen; sie brauchte ihn. Sie brauchte ihn, damit er ihr sagte, was sie jetzt tun sollte.
Anfangs hatte es Belohnungen gegeben – Spaziergänge im Freien mit John, sie hatte Necromancer striegeln und später reiten dürfen. Sie mochte John, und sie mochte Necromancer wenn dieser dumme Mensch nur wüßte, wie sehr er sie gekränkt hatte, als er sagte, daß Necromancer ihr Pferd sei, wo Charlie doch genau wußte, daß es nie der Fall sein würde. Nur in ihren unruhigen Träumen, a die sie sich kaum erinnerte, gehörte der große Wallach ihr. Aber jetzt … jetzt … waren die Tests selbst die Chance, ihre Fähigkeiten anzuwenden und zu spüren, wie sie wuchsen … war das mehr oder mehr die eigentliche Belohung. Es war zu einem schrecklichen, aber zwanghaften Spiel geworden. Und sie hatte das Gefühl, noch kaum die Oberfläche angekratzt zu haben. Sie war wie ein Baby, das gehen lernte.
Sie brauchte ihren Vater. Er mußte ihr sagen, was richtig und was falsch war, ob sie weitermachen oder endgültig aufhören sollte.
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