Feuerkind
drehte sich noch kurz um und sah das erstaunte und verschreckte Gesicht des Mannes. Flüchtig schoß ihm ein Gedanke - das wird dich lehren, Anhalter mitzunehmen - durch den Kopf.
Dann standen Charlie und er auf der Veranda und sahen den ersten Wagen in die Zufahrt einbiegen. Die Hühner rannten gackernd und flügelschlagend davon. In der Scheune muhte Bossy; sie wollte wohl gemolken werden. Eine fahle Oktobersonne hing über den bewaldeten Hügeln und herbstbraunen Feldern dieser abgelegenen kleinen Stadt im Staate New York. Fast ein Jahr waren sie auf der Flucht, und Andy war erstaunt darüber, daß ein seltsames Gefühl der Erleichterung sein grauenhaftes Entsetzen überlagerte. In äußerster Not, so hatte er gehört, würde sogar ein Kaninchen, in instinktiver Erinnerung an eine frühere, weniger sanftmütige Entwicklungsphase seiner Art, sich den Hunden stellen, um dann zerrissen zu werden.
Jedenfalls war es gut, nicht mehr laufen zu mü ssen. Er stand neben Charlie, und ihr Blondhaar glänzte in der Sonne.
»Oh, Daddy«, stöhnte sie. »Ich kann es kaum noch ertragen.«
Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie ganz fest an sich. Der erste Wagen hielt, wo der Vorgarten anfing, und zwei Männer stiegen aus.
13
»Hallo, Andy«, sagte Al Steinowitz und lächelte. »Hallo, Charlie.« Er hatte nichts in den Händen, aber seine Jacke war aufgeknöpft. Hinter ihm, am Wagen, stand wachsam der andere Mann. Er ließ locker die Arme hängen. Der zweite Wagen hielt hinter dem ersten, und vier Männer stiegen aus. Alle Wagen hielten, und aus allen sprangen Männer ins Freie. Andy zählte ein Dutzend, dann gab er es auf.
»Geht weg«, sagte Charlie. Dünn und hell klang ihre Stimme durch die Kühle des frühen Nachmittags.
»Sie haben uns ganz schön an der Nase herumgeführt«, sagte Al zu Andy. Er sah Charlie an. »Honey, du mußt doch nicht so …«
»Geht weg«, kreischte sie.
Al zuckte die Achseln und setzte ein entwaffnendes Lächeln auf. »Das können wir leider nicht, Honey. Ich habe meine Befehle. Niemand will dir oder deinem Daddy etwas tun.«
»Sie lügen! Sie sollen ihn töten! Ich weiß es!«
Andy mischte sich ein und war selbst erstaunt, daß seine Stimme so gelassen klang. »Ich rate Ihnen zu tun, was meine Tochter sagt. Sie sind gewiß genügend informiert, um zu wissen, warum meine Tochter gesucht wird. Sie wissen doch, was mit dem Soldaten auf dem Flughafen geschah.«
OJ und Norville warfen sich plötzlich besorgte Blicke zu.
»Steigen Sie doch einfach zu uns in den Wagen. Dann können wir über alles reden«, sagte AI. »Es ist doch weiter nichts außer –« »Wir wissen, was los ist.«
Die Männer aus den hinteren Wagen hatten sich verteilt und gingen jetzt langsam aus allen Richtungen auf die Veranda zu.
»Bitte«, sagte Charlie zu dem Mann mit dem seltsam gelben Gesicht. »Zwingen Sie mich nicht dazu, es zu tun.«
»Es hat keinen Zweck«, sagte Andy.
Irv Manders trat auf die Veranda heraus. »Sie haben hier keine Befugnis«, sagte er. »Sie werden, verdammt noch mal, mein Grundstück verlassen.«
Drei von den Männern waren die ersten Stufen zur Veranda hochgestiegen und standen jetzt links von Andy und Charlie. Sie waren kaum acht Meter entfernt. Charlie warf ihnen einen warnenden, verzweifelten Blick zu, und sie blieben stehen -vorläufig.
»Wir sind Regierungsbeauftragte«, sagte Al Steinowitz leise und höflich zu Irv. »Diese Leute werden gesucht, weil sie verhört werden sollen. Weiter nichts.«
»Und wenn sie wegen Ermordung des Präsidenten gesucht werden«, sagte Irv mit hoher, überschnappender Stimme. »Sie zeigen mir den Haftbefehl oder, bei Gott, Sie verschwinden von meinem Grundstück.«
»Wir brauchen keinen Haftbefehl«, sagte AI. Seine Stimme war jetzt von metallischer Kälte.
»Sie brauchen einen, außer ich wäre heute morgen in Rußland aufgewacht«, sagte Irv. »Ich sage Ihnen, Sie verschwinden jetzt, und das ein bißchen plötzlich. Das ist mein letztes Wort.«
»Irv, komm rein!« sagte Norma.
Andy fühlte, wie sich etwas in der Luft aufbaute, um Charlie herum aufbaute wie eine elektrische Ladung. Die Haare an seinen Armen bewegten sich plötzlich wie Seetang in einer unsichtbaren Dünung. Er sah zu ihr hinunter. Ihr kleines Gesicht sah jetzt ganz seltsam aus.
Sie tut es, dachte er hilflos. Oh, mein Gott, sie tut es wirklich.
»Verschwinden Sie!« brüllte er Al an. »Kapieren Sie denn nicht, was sie jetzt gleich tut. Spüren Sie es denn nicht?
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