Feuerkind
Schulter.
»Nie«, wiederholte sie mit Nachdruck.
»Das darfst du nicht sagen, Kleine«, sagte Irv. »Du darfst dich nicht so blockieren. Du wirst tun, was du tun mußt. Du wirst dir Mühe geben. Mehr kannst du nicht tun. Wenn es etwas auf der Welt gibt, das Gott nicht liebt, dann sind es Leute, die ›nie‹ sagen. Verstehst du mich?«
»Nein«, flüsterte Charlie.
»Ich denke, du wirst es eines Tages verstehen«, sagte Irv und schaute Charlie mit so tiefem Mitgefühl an, daß Angst und Kummer Andy in die Kehle stiegen. Dann sah Irv seine Frau an. »Gib mir den Stock, der neben deinem Fuß liegt, Norma.«
Norma brachte den Stock, reichte ihn Irv und bat ihn, sich nicht zu übernehmen, sondern sich lieber auszuruhen. Deshalb hörte nur Andy, wie Charlie noch einmal ganz leise »Nie« sagte. Es war wie ein heimlicher Schwur.
17
»Schauen Sie her, Andy«, sagte Irv und zeichnete eine gerade Linie in den Sand. »Dies ist der Feldweg, den wir heraufkamen. Die Baillings Road. Wenn Sie eine Vierteimeile nach Norden fahren, kommen Sie an einen Waldweg,, der rechts abgeht. Mit einem normalen Wagen kann man den Weg nicht befahren, aber der Willys sollte es schaffen, wenn Sie vernünftig Gas geben und richtig mit der Kupplung umgehen. Ein paarmal wird es so aussehen, als ob der Weg nicht weiterführt. Fahren Sie einfach weiter, Sie finden ihn dann schon wieder. Er ist auf keiner Karte verzeichnet. Verstehen Sie? Auf keiner Karte.«
Andy nickte und schaute zu, wie Irv mit dem Stock den Waldweg zeichnete. »Der Weg führt zwölf Meilen nach Osten und, wenn Sie sich nicht festfahren oder verirren, erreichen Sie in der Nähe von Hoag Corners die Route hundertzweiundfünfzig. Dort biegen Sie links ab – nach Norden – und etwa eine Meile weiter kommen Sie wieder an einen Waldweg. Flaches Gelände. Viel Schlamm und Morast. Der Willys könnte es schaffen. Oder auch nicht. Ich habe den Weg wahrscheinlich seit fünf Jahren nicht mehr befahren. Er ist der einzige, der nach Osten in Richtung Vermont führt, und er wird nicht gesperrt sein. Dieser zweite Weg trifft nördlich von Cherry Plain und südlich der Grenze nach Vermont auf die Route zweiundzwanzig. Bis dahin sind Sie wohl aus dem Gröbsten heraus – obwohl ich annehme, daß Ihr Name und Ihre Beschreibung schon über den Draht gegangen sind. Aber wir wünschen euch alles Gute. Nicht wahr, Norma?«
»Ja«, sagte Norma, und das Wort klang fast wie ein Seufzer. Sie sah Charlie an. »Du hast deinem Vater das Leben gerettet. Daran muß man auch denken.«
»Muß man das?« sagte Charlie, und ihre Stimme klang so völlig tonlos, daß Norma sie verwirrt und ein wenig ängstlich anschaute. Dann versuchte Charlie ein zögerndes Lächeln, und erleichtert lächelte Norma zurück.
»Die Schlüssel stecken im Willys.« Irv legte den Kopf schief. »Hört ihr?«
Es war das auf-und abschwellende Geräusch von Sirenen, schwach zwar, aber es kam rasch näher.
»Die Feuerwehr. Beeilt euch, wenn ihr es noch schaffen wollt.«
»Komm, Charlie«, sagte Andy. Mit rotgeweinten Augen ging sie zu ihm. Das kleine Lächeln war verschwunden wie die Sonne hinter einer Wolkenbank, aber Andy war schon froh, daß sie überhaupt gelächelt hatte. Ihr Gesicht war wie das einer Überlebenden, von Angst und Qual gezeichnet. In diesem Augenblick wünschte Andy, daß er ihre Fähigkeit besäße; er würde sie anwenden, und er wußte auch gegen wen.
Er sagte: »Danke, Irv.«
»Es tut mir so leid«, sagte Charlie leise. »Das mit Ihrem Haus und Ihren Hühnern … und alles andere.«
»Es war ja nicht deine Schuld. Sie haben es sich selbst eingebrockt. Paß gut auf deinen Daddy auf.«
»Okay«, sagte sie.
Andy nahm sie bei der Hand und führte sie hinter die Scheune, wo der Willys unter einem Schutzdach parkte.
Die Feuerwehrsirenen waren schon sehr nahe, als er den Motor gestartet hatte und über den Rasen auf den Feldweg gefahren war. Das Haus war ein einziges Inferno. Charlie vermied es, sich umzuschauen. Im Rückspiegel sah Andy noch einmal Irv und Norma Manders. Irv saß immer noch gegen die Scheune gelehnt, und der weiße Kleiderfetzen um seinen verletzten Arm hatte sich rot gefärbt. Norma saß neben ihm. Mit dem gesunden Arm hielt er sie umfaßt. Andy winkte, und Irv hob seinen verbundenen Arm. Norma winkte nicht zurück. Sie dachte vielleicht an das Porzellan ihrer Mutter, ihren Schreibtisch und die Liebesbriefe – Dinge, die keine Versicherung der Welt ihr wiedergeben konnte.
18
Genau an der
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