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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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immer mehr auf Licht und Schatten konzentrieren, wie Schrifftsteller nach immer neuen Sprachnuancen tasten, ähnlich Blinden, die Braille lesen. Was ihn am meisten interessierte, war der Augenblick des Todes … der Augenblick, da man seinen Geist aushaucht … der Übergang aus dem Körper und dem, was die Menschen als Leben kennen, in etwas anderes. Welche Empfindungen hatte man bei diesem Hinweggleiten? Glaubte man, es sei ein Traum, aus dem man erwachen würde? Gab es den Christenteufel mit seiner Gabel, bereit, mit ihr die kreischende arme Seele aufzuspießen wie Fleisch auf einen Bratspieß, und mit ihr zur Hölle zu fahren? Ob es ein Glücksgefühl sein würde? Wußte man, daß man starb? Was sehen die Augen eines Sterbenden?
    Rainbird hoffte, daß er es eines Tages selbst feststellen würde. In seinem Gewerbe kam der Tod oft rasch und unerwartet innerhalb von Sekundenbruchteilen. Er hoffte, daß er, wenn sein eigener Tod ihn ereilte, Zeit haben würde, sich darauf vorzubereiten und alles bewußt zu erleben. In letzter Zeit war er immer mehr dazu übergegangen, die Gesichter der Menschen, die er tötete, genau zu beobachten. Er versuchte, das Geheimnis in ihren Augen zu lesen.
    Der Tod interessierte ihn.
    Was ihn außerdem noch interessierte, war das kleine Mädchen, um das sie sich alle solche Sorgen machten. Diese Charlene McGee. Cap war überzeugt, daß Rainbird über die McGees kaum etwas wußte und von Lot Sechs noch nie gehört hatte. In Wirklichkeit wußte Rainbird fast so viel wie Cap selbst – was, das extreme Zwangsmaßnahmen gegen ihn gerechtfertigt hätte, wenn es Cap zu Ohren gekommen wäre. Man vermutete bei dem Mädchen große Fähigkeiten – vielleicht eine ganze Reihe von Fähigkeiten. Er, Rainbird, hätte das Mädchen gern kennengelernt, um sich über diese Fähigkeiten zu informieren, Er wußte auch, daß Andy McGee ein Mann war, der, wie Cap es nannte, »potentiell die Fähigkeit hatte, andere geistig zu beherrschen«. Das allerdings kümmerte John Rainbird wenig. Er hatte noch nie einen Mann kennengelernt, der ihn beherrschen konnte.
    Die Fersehsendung war zu Ende, und es folgten die Nachrichten. Eine gute war nicht darunter. Rainbird blieb sitzen. Er aß nicht, trank nicht und rauchte nicht. Sauber und nüchtern saß er da und wartete auf die Zeit des Tötens.
2
    Am Vormittag dieses Tages hatte Cap noch mit einem Gefühl des Unbehagens daran gedacht, wie lautlos Rainbird sich bewegte. Wanless hörte ihn nicht. Er erwachte aus tiefem Schlaf. Er erwachte, weil ein Finger ihn unter der Nase kitzelte. Er erwachte und sah ein Ungeheuer aus einem Alptraum, dessen große Gestalt sich mächtig über sein Bett lehnte. Das eine Auge schimmerte schwach im Licht aus dem Bad, das Wanless immer brennen ließ, wenn er auswärts schlief. Wo das andere Auge hätte sein müssen, war nur ein leerer Krater.
    Wanless riß den Mund zu einem Schrei auf, und John Rainbird kniff ihm mit den Fingern einer Hand die Nasenlöcher zu. Die andere legte er ihm auf den Mund. Wanless schlug um sich.
    »Schscht«, sagte Rainbird. Er sprach mit der freundlichen Nachsicht einer Mutter, die ihr Kind wickelt.
    Wanless wehrte sich noch wütender.
    »Liegen Sie still, wenn Sie am Leben bleiben wollen, und keinen Laut!«
    Wanless schaute zu ihm auf, versuchte noch einmal, Luft zu holen, und lag dann still.
    »Werden Sie jetzt ruhig sein?« fragte Rainbird.
    Wanless nickte. Sein Gesicht war stark gerötet.
    Rainbird nahm die Hände weg, und Wanless keuchte heiser. Ein wenig Blut rann aus einem Nasenloch.
    »Wer … sind Sie… hat Cap … Sie geschickt?«
    »Rainbird«, sagte er feierlich. »Ja, Cap schickte mich.«
    In der Dunkelheit wirkten Wanless’ Augen riesig. Seine Zunge fuhr heraus, und er leckte sich die Lippen. Wie er da im Bett lag, die knochigen Füße freigestrampelt, sah er aus wie das älteste Kind der Welt.
    »Ich habe Geld.« Es war fast ein Flüstern. »Schweizer Konto. Viel Geld. Es gehört Ihnen. Ich werde nicht reden. Ich schwöre es bei Gott.«
    »Ich will nicht Ihr Geld, Dr. Wanless«, sagte Rainbird.
    Wanless starrte ihn an, und seine linke Mundhälfte grinste irr. Sein linkes Lid hing herunter und zitterte.
    »Wenn Sie bei Sonnenaufgang noch leben wollen, werden Sie zu mir sprechen, Dr. Wanless. Sie werden eine Vorlesung halten. Ich bin ein Einmannseminar. Ich werde sehr aufmerksam sein, ein guter Schüler. Dafür werde ich Sie leben lassen, und dieses Leben werden Sie sehr weit von Cap und der Firma

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