Feuerprinz
Gärten, die Ilana so geliebt hat, doch der Gestank des Todes lastet auf dem alten Palast. Du brauchst einen neuen, einen, der einer Göttin gemäß ist. Wir werden die Gärten viel schöner gestalten als zuvor, die Mauern sicherer und höher, die Räume größer und luftiger. Die Engilianer wollendich ehren. Sie schleifen den Tempel des Muruk und verschönern den von Sala … deinen Tempel.«
Lin versuchte, nicht mehr zu hören, was Jevana ihr erzählte. Das erste Mal wurde ihr wirklich klar, weshalb Degan damals aus Engil fortgegangen war. Die Erwartungen, die wie selbstverständlich an sie gestellt wurden. Sie war die Göttin … Man würde Wunder von ihr erwarten, Weisheit, Glück, Zauberkräfte und Sanftmut. Lin spürte, wie sich eine Fessel um ihr Herz legte und langsam zuzog. Auf einmal gehorchten ihr die Beine nicht mehr; sie fuhr herum und floh von dem Hof, der ihr mit seinen hohen Mauern plötzlich wie ein Kerker vorkam.
Fort … fort!
, schrie sie in Gedanken und hörte Jevanas Schritte dicht hinter sich, während sie an ihrer überraschten Sippe durch das Haus und dann hinaus auf die Straße stürmte. Es war so, wie sie befürchtet hatte. Jeder wusste bereits, wer sie war. Auf den Straßen blieben die Menschen stehen und starrten sie mit offenen Mündern an. Einige tuschelten aufgeregt miteinander, andere fielen wiederum vor ihr auf die Knie und baten um ihren Segen. Lin beachtete keinen von ihnen, sondern rannte weiter Richtung Stadttor. Ihre Füße suchten sich ihren Weg von selbst. Sie musste fort … nur fort …
»Lin … warte doch!, hörte sie Jevana hinter sich rufen und rannte noch schneller. Als sie den großen Platz vor dem Stadttor erreichte, erinnerte sie sich mit bitterem Geschmack im Mund daran, dass sie hier Elven das erste Mal begegnet war und das Schicksal seinen schrecklichen Lauf genommen hatte. Hätte sie doch schon damals auf ihr Gefühl vertraut, das sie vor Elven gewarnt hatte! Ihre Eltern würden noch leben, und sie wäre nicht eine fleischgewordene Göttin, die man auf einen Sockel stellen und anbeten wollte – eine wertvolle Gefangene ihres eigenen Volkes. Lin wurde mit einem Mal klar, dass sie nicht in Engil bleiben konnte.
Ohne sich noch einmal umzusehen, lief sie durch den Rundbogen des Stadttors. Niemand versuchte sie daran zu hindern. Vielleicht wussten die Engilianer noch nicht, wie sie mit ihrer Göttin umgehen sollten, doch Lin war sich sicher, mit der Zeit kämen sie auf den Gedanken, dass sie zu ihrer eigenen Sicherheit beschützt, bewacht und eingesperrt werden müsste. So wollte sie nicht leben – sie wollte keine Göttin sein … Sie wollte einfach nur Lin sein!
Aus Angst, die Engilianer würden sie verfolgen und zurückschleppen, rannte sie in den angrenzenden Isnalwald und blieb erst stehen, als sie ein ganzes Stück weit in den Wald hineingelaufen war. Ihr Atem ging keuchend, und sie wischte sich Tränen aus den Augen. Ihr gerade noch sauberes Gewand war von Ästen und Zweigen am Saum aufgerissen worden und schmutzig. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, es einfach über ihren Kopf zu streifen und nackt weiterzulaufen – etwas, was sie früher niemals in Erwägung gezogen hätte.
Von der Seite brach etwas durch das Gebüsch. Lin schrie auf und dachte an den Mordversuch der Waldfrauen mit dem vergifteten Dorn. Waren die Alten doch noch hinter ihr her? Aber es war Jevana, mit der sie beinahe zusammengeprallt wäre. Die zweite Priesterin war ebenso außer Atem wie sie selbst.
Lin fuhr herum und lief weiter in den Wald hinein. Warum war Jevana nur so hartnäckig!
»Lin … was bei Salas Licht ist denn los?« Jevanas Stimme klang wütend und verzweifelt.
Lin spürte ein tiefes Brennen in der Kehle und stellte überrascht fest, dass es Zorn war. Sie, die sanfte hingebungsvolle Lin, verspürte tatsächlich Zorn. Mit geballten Fäusten blieb sie stehen und wandte sich zu Jevana um. »Ist es das, was ich von nun an sein soll? Eine Göttin, bewacht wie ein Schatz in ihrem Palast, die sich zu den Sonnenwendfeiern von ihrem Volk anbeten lässt?«
»Aber Lin …«, gab Jevana kopfschüttelnd zu, »das ist nun einmal die Aufgabe von Göttern.«
Sie schüttelte wütend den Kopf. »Warum glauben die Menschen eigentlich, dass Götter weiser, besser oder glücklicher sind als sie selbst? Dass sie fehlerlos sind und damit die Verantwortung für die Geschicke der Menschen tragen?«
Jevana sah sie an, doch fand keine Antwort auf ihre Frage. Stattdessen senkte sie
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