Feuerprinz
anderen Raum zurück. Sie hatte das Gefühl, endlich freier atmen zu können, als sie mit Jevana allein war. »Wie lange habe ich hier gelegen?«
»Fast drei Tage.« Jevana lächelte entschuldigend. »Was hätte ich ihnen sagen sollen, was der Königin von Engil widerfahren ist, als du nackt, leblos und mit offenen Augen in Salas Tempel lagst? Es kamen Stimmen auf, die
unglückselige Lin
wäre an all dem schuld – an Elven, den Schjacks und den Greifen. Sie fürchteten sogar, ein Greif hätte dich geschändet und verflucht.« Jevana seufzte und lächelte dann entschuldigend. »Also habe ich ihnen die Wahrheit erzählt. Zumindest wirst du nun nie wieder die
unglückselige Lin
für sie sein.«
Lin nickte, obwohl ihr davor graute, durch Engils Straßen zu laufen. Eine »unglückselige« Lin hätten die Engilianer vielleicht gemieden, eine »göttliche« würden sie anstarren und berühren wollen wie ein kostbares Schmuckstück.
Jevana erzählte ihr ausführlich von dem Kampf um Engil, davon, dass sie in den Tempel des Gottes gegangen war und sein vergiftetesHerz mit dem Opferdolch durchstoßen hatte. Lin hörte ihr aufmerksam zu und bewunderte Jevana einmal mehr für ihren Mut und ihre eigenwillige Tatkraft. Dann jedoch erinnerte sie sich an ihren eigenen Kampf im Reich des Gottes. Degan hatte sie gerettet und zurück nach Engil gebracht. »Wo ist Degan?«
Jevana senkte betreten den Blick. Lin spürte, dass es ihr unangenehm war, dass das Gespräch in diese Richtung lief. »Er hat Engil verlassen – sofort nachdem er im Tempel erwacht war. Ich habe ihn gebeten, zu bleiben, bis du wach bist, doch er wollte nicht. Es gab wohl ein Unglück … mit Dawon, seinem Vater. Degans eigenes Greifenheer hat ihn getötet; deshalb hat er Engil letztendlich doch geholfen. Weil er es Dawon versprochen hatte. Er sagte, dass es nichts gäbe, was ihn in Engil halten könne.« Sie reichte Lin ein zusammengefaltetes Tuch.
Lin schlug es auf und fand darin Salas Tränen.
»Degan sagte, sie gehören dir.« Jevanas mitleidiger Blick schnürte Lin die Kehle zu, doch die zweite Priesterin sprach schnell weiter. »Seine Greife verfolgen die letzten der von Muruk verfluchten Greife und treiben die Schjacks zurück ins Sumpfland, um sie dort auf offenem Feld anzugreifen. Sie wollen jeden einzelnen Tropfen von Muruks Blut auslöschen. Nur Belamon ist hiergeblieben. Er hat sich die Schwinge gebrochen, als er die Pforte des Sala-Tempels rammte, um dich zu befreien.«
Lin legte sich die Kette um den Hals und ließ sich dann von Jevana vom Lager helfen. Sie wollte nicht darüber nachdenken, dass Degan schon wieder fortgelaufen war … nicht jetzt! Ihre Beine waren noch schwach, doch ansonsten war sie unverletzt. Ohne dass sie darum hätte bitten müssen, half Jevana ihr in eines ihrer Priestergewänder und sprach weiter: »Belamon ist auf dem Hof hinter dem Haus. Ich pflege seine Schwinge. Er wollte nicht zurück zu den Waldfrauen.«
Sie führte Lin in den Hof, wo der Greif mit auf einen neuen Rahmen gespannter Schwinge lag, den Kopf auf die Vorderklauen gestützt. Er langweilte sich augenscheinlich. Als er Lin sah, krächzte er aufgeregt und streckte ihr den großen Kopf entgegen. Sie ging zu ihm und kraulte ihn unter dem Schnabel, woraufhin er zufrieden die Augen schloss.
»Du bist viel zu zahm geworden für einen Greif«, bemerkte Lin liebevoll, woraufhin Belamon zustimmend krächzte. »Weißt du, wo Degan ist?«
Er schüttelte den Kopf und ließ ihn traurig zurück auf seine Vorderklauen sinken. Anscheinend fühlte er sich ebenso von Degan verlassen wie sie. Ihre Erinnerung holte sie ein. Degan und sie in dieser hitzestarrenden Wüste, sein Kuss, seine Berührungen, sein Begehren; dann die Stimme des Gottes.
Er wird dich wieder verlassen, seine Umarmung ist Lüge, damit du mit ihm gehst … Eine Göttin gehört an die Seite eines Gottes und nicht auf den Thron der Menschen …
Sie hatte die Worte ignoriert, als sie mit Degan zurückgekehrt war, hatte Hoffnung zugelassen, und der Schmerz über seine Lüge traf sie nun unangemessen stark.
»Lin?«, unterbrach Jevana ihre Gedanken und sah sie besorgt an. »Du wirst doch nicht wieder … die trübselige Lin? Die unglückselige Königin? Nicht seinetwegen, oder?«
Sie schüttelte schnell den Kopf und hoffte, dass Jevana ihre Verzweiflung nicht sah.
Die Liebe der Götter ist ewig!
»Das ist gut«, antwortete Jevana und lächelte. »Sie reißen bereits den Palast ab. Es ist schade um die
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