Feuerprinz
und Kinder bekommen …
Der Schrei eines Vogels brachte sie unbarmherzig zurück in die Wirklichkeit. Kinder? Für Kinder brauchte man einen Gefährten … und den gab es nicht … nicht für sie. Aber es würde andere Dinge geben als die Liebe, so redete sie sich ein, als sie plötzlich etwas am Kopf traf und vor ihren Füßen im Laub liegen blieb.
Lin sprang auf und rieb sich die schmerzende Stelle an ihrem Hinterkopf. Dann bückte sie sich nach dem Geschoss und stelltefest, dass es eine Nuss war. Als sie sie aufhob und sich nach dem Angreifer umsah, folgten eine zweite und sogar eine dritte Nuss, denen sie jedoch geschickt auswich. Die Nüsse kamen von irgendwo über ihr – aus den Bäumen.
Greife!
, dachte sie voller Entsetzen, legte den Kopf in den Nacken und entdeckte … Dawon! Er hockte auf dem niedrig hängenden Ast eines Baumes und beobachtete sie. Lin verschlug es die Sprache. Hatte Jevana nicht gesagt, er wäre von Degans Greifen getötet worden? Sie konnte keine einzige Schramme an seiner Haut entdecken. Stattdessen wirkte er zufrieden und glücklich. Seine offensichtliche Gedankenlosigkeit, während alle Welt seinen Tod betrauerte, machte sie wütend.
Lin zog verärgert die Brauen zusammen, doch der Greif lächelte arglos. »Lin muss essen. Lin läuft schon den ganzen Nachmittag, ohne zu wissen, wohin sie geht.«
»Das stimmt nicht. Ich weiß sehr wohl, wohin ich gehe.« Es fiel ihr schwer, ihren Ärger zu verbergen. Dawon folgte ihr offenbar schon den gesamten Nachmittag, ohne dass sie es bemerkt hatte.
Der Greif legte den Kopf schief. Natürlich glaubte er ihr kein Wort. Ihr Gewand sah aus wie ein zerfetzter Putzlappen, ihre Haare waren voller kleiner Äste und Disteln. Man musste sie nur ansehen, um zu erkennen, wie verzweifelt sie war.
»Soll Dawon Lin allein lassen?«
Innerhalb eines Augenblicks vergaß Lin ihren Ärger. »Nein!«
Mit einem federnden Sprung landete der Greif vor ihren Füßen und hielt ihr eine Handvoll Nüsse hin. »Lin braucht ein Nachtlager. Dawon kann Lin bringen, wohin sie will.«
Sie nahm die Nüsse und sah ihn ratlos an. »Ich … weiß nicht, wohin ich gehen soll. Aber nach Engil kann ich nicht zurück.« Sie hatte befürchtet, er würde ihr widersprechen, doch seltsamerweise tat er es nicht.
»Dawon könnte Lin zu Degan bringen.«
Sie sah ihn misstrauisch an, denn sie erinnerte sich an ihren letzten Besuch an den Quellen des Sandflusses, zu denen Dawon sie gebracht hatte. Außerdem hatte Degan Engil nicht schnell genug verlassen können. »Ich werde ihm nicht hinterherlaufen. Das habe ich lange genug getan.«
Dawon spreizte eine Schwinge und reckte sich im untergehenden Sonnenlicht. Fast erinnerte er an ein rundum glückliches Kind, und sie wünschte sich einen Augenblick lang, sein heiteres Gemüt zu besitzen.
»Degan ist zu Lin gekommen und hat Engil gerettet, oder?«
Lin stemmte die Hände in die Hüften. Für wie dumm hielt er sie? »Degan hat das getan, weil er es dir versprochen hat und glaubte, du wärest tot!«
Dawon lächelte. »Beinahe hätten Greife Dawon auch zerrissen. Degans Greife sind furchtbar wild. Aber dann kam ein freundlicher Greif mit dem Namen Belamon auf dem Weg nach Engil vorbei. Er konnte Degans Greife beruhigen, und deshalb ist Dawon nichts geschehen.«
Lin dachte an Belamon, der mit gebrochener Schwinge auf Jevanas Hof lag. Kein Wunder, dass er über Degans überstürztes Verschwinden so traurig gewesen war. Er hätte ihm sicher gerne die gute Nachricht überbracht und ein wenig Lob dafür erhalten, Dawon gerettet zu haben.
Lin setzte sich wieder auf den Baumstumpf und dachte nach. Zweifel überkamen sie – sein leidenschaftlicher Kuss. Konnte das alles Lüge gewesen sein? Aber was, wenn er sie wieder zurückwies? Warum sollte plötzlich alles anders sein?
Unglückselige Lin!
Dawon sah hinauf in den Himmel. Es wurde bald dunkel, und er drängte zum Aufbruch. »Also, Lin, Menschin … Wohin soll Dawon dich tragen?«
Lin sah hinauf in den Himmel. Wohin sollte er sie bringen? Weit fort, wo sie niemand kannte und selbst Degan sie niemals finden würde? Wollte sie das letzte Band zu ihrer Vergangenheit durchtrennen oder noch einmal das Wagnis eingehen zu hoffen?
Sie traf eine Entscheidung. »Ich weiß wohin … Wenn er wirklich will, kann er mich dort finden«, antwortete sie und überließ sich dem winzigen Funken Hoffnung, der in ihr aufkeimte.
Epilog
Lin betrachtete die im Licht des Mondes spiegelnde Oberfläche des Sees
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