Feuerregen (Billy Bob Holland) (German Edition)
Denn wer kam denn am ehesten als Hugos Nachfolger in Frage, wer war denn besser dafür geeignet als er, Kyle Rose?
Er legte den Bogen auf dem Tisch, ging zu der durchlöcherten Zielscheibe und zog die Pfeile aus den Heuballen. Von Süden zog Regen auf, der wie Schleier auf die Felder in der Ferne fiel, dann klatschten die ersten Tropfen auf die geteerte Straße, die unterhalb seines Grundstücks vorbeiführte. Die Luft war klamm und kühl wie in einer Höhle, und die Kiefern bogen sich im Wind und warfen ihre Nadeln auf Kyles Wohnwagen. Einen Moment lang meinte er, er hätte eine Blechbüchse scheppern gehört.
Ein Blitz schlug in das Feld auf der anderen Seite der Straße ein, tauchte die Bäume in gleißendes Licht, bannte alle Schatten von der Lichtung, und Kyle sah, dass das Scheppern lediglich vom Wind herrührte. Ein Regentropfen fiel ihm auf den Kopf, schwer wie eine Murmel, und rasch sammelte er die übrigen Pfeile ein, die in dem Heuballen steckten.
Als er sich umdrehte, sah er einen Mann in einem gelben Regenmantel und einem unförmigen Fedora neben dem Tisch stehen, auf den er den Bogen gelegt hatte. Das Gesicht lag im Schatten, aber er konnte deutlich erkennen, was er da trieb. Er hatte einen Pfeil eingelegt, einen mit Widerhaken und zugefeilter Spitze, und zog die Bogensehne mit schier übermenschlicher Kraft durch.
Er hörte, wie der Pfeil auf ihn zuschwirrte, hörte den Ton, als zerschneide man mit einer Schere die Luft. Er schlug die Hände vors Gesicht und fuhr herum, versuchte dem Pfeil zu entgehen, wurde dadurch aber dicht unter der Achselhöhle getroffen. Er spürte, wie sich der Schaft durch seine Lunge bohrte, spürte, wie ihm die Luft ausging, als wäre plötzlich die Blase eines Fußballs zerplatzt.
Seine Brust brannte, als stünde sie in Flammen, und er spürte, wie ihm das Blut in die Kehle stieg, wie er mit dem rechten Arm jedes Mal an dem Pfeil hängen blieb, wenn er nach der .25er greifen wollte, die er um den Knöchel geschnallt hatte.
Der Mann mit dem gelben Regenmantel und dem Fedora kam durch den Regen auf ihn zu, legte einen neuen Pfeil ein. Kyle tastete fahrig nach der .25er Automatik, zog sie aus dem Holster und wollte sie anlegen. Der Mann mit dem Hut trat sie ihm aus der Hand, als wäre es eine Stinkmorchel.
Der zweite Pfeil durchschlug Kyles Kinnlade und bohrte sich auf der anderen Seite seines Gesichts in den weichen Boden. Er kam sich vor wie ein Fisch, der jählings auf dem Trockenen landet, als ob rote Blumen aus seinem Mund wucherten, deren Pollen über ein Paar Sträflingsstiefel verweht wurden.
Keuchend schnappte er nach Luft, versuchte den letzten goldenen Lichtschimmer auf dem Fluss in sich aufzunehmen.
15
Am darauf folgenden Montag stand ich am Fenster meines Büros und sah, wie Marvin Pomroy, dessen frisch gestärktes weißes Hemd in der Sonne schillerte, die Straße überquerte. Er verschwand im Foyer des Gebäudes, in dem sich meine Kanzlei befand, und obwohl ich ihn jetzt nicht mehr sehen konnte, wusste ich, dass er beim Treppensteigen wie üblich drei Stufen auf einmal nahm. Kurz darauf saß er vor meinem Schreibtisch und putzte seine Brille mit einem Kleenex. Sein ovales Gesicht war vor Hitze rosig angelaufen, doch seine Haare waren wie immer tadellos gekämmt.
»Da draußen ist es kochend heiß, was?«, sagte ich.
Er tupfte sich mit dem Hemdsärmel die Stirn ab, ohne auf meine Frage einzugehen.
»Die Fußabdrücke am Tatort stammen von Sträflingsschuhen, wie wir sie im Gefängnis ausgeben. Sowohl Doolittle als auch Stump haben welche getragen, als sie aus dem Bus geflüchtet sind. Beide haben Schuhgröße fünfundvierzig, genau die gleiche Größe wie die Abdrücke«, sagte er.
»Doolittle ist kein Mörder, Marvin«, sagte ich.
»Das war ein Achtzig-Pfund-Bogen. Doolittle hat die nötige Kraft, um ihn zu spannen. Stump nicht.«
»Stump ist ein Speedfreak. Der hat das Haus seines Schwagers ruiniert, indem er hinten und vorne durch die Wand gerannt ist. Er hat im Snooker’s Big Eight einen Mexikaner mit dem Kopf voran in ein Abflussrohr gestopft.«
Aber ich sah, dass Marvin bereits mit etwas anderem beschäftigt war.
»Ein Sanitäter drüben im Bezirkskrankenhaus sagt, Sie hätten einen kleinen Halbblutjungen in die Notaufnahme gebracht. Sie wollten, dass man seine Lunge untersucht, damit er sich keine Entzündung zuzieht, weil er fast ertrunken wäre«, sagte Marvin.
»Das stimmt.«
Er stand auf, stellte sich ans Fenster und schaute auf die
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