Feuersteine
zu verlockend.
Sie war am 27. wieder in Hamburg gelandet und am nächsten morgen Früh losgefahren. Ihr Navigationsgerät hatte den Ort nicht angezeigt, aber Aischa hatte an der Autobahnraststätte eine Karte gekauft und ließ sich nun zumindest in die Nähe leiten.
Es hatte die letzten Tage geschneit, nicht viel, jedoch ausreichend, um die typischen Kiefernwälder in ein mystisches Grau zu tauchen. Die Sonne verbarg sich hinter schneelastigen Wolken. Die Straßen waren leer und sie kam gut voran. In dem angezeigten Ort folgte sie mit der Karte in der Hand einem kleinen Schild.
Sie fuhr vorsichtig, denn die Straße ging bald darauf in einen unbefestigten Weg über. Weiden erstreckten sich links neben ihr, rechts war dichter Wald. Die Straße machte einen Bogen in den Wald hinein und vor ihr öffneten sich die Bäume und gaben den Blick auf ein kleines Haus frei, welches sich an eine Gruppe von Birken drängte, die wie eine Insel inmitten einer freien Fläche standen.
„Andernort“, murmelte Aischa zustimmend. Es hätte kaum einen passenderen Namen geben können. Sie ließ das Auto ausrollen, parkte es neben Lilys und stieg aus.
Es war still. Nicht mit dem Begriff Stille zu vergleichen, den Aischa kannte. In dem Vorort Hamburgs, in dem sie lebte, bedeutete Stille das entfernte Rauschen von Autos, irgendwo Hundegebell und Kinderlärm.
Hier hieß „still“ absolute Stille.
Sie lauschte angestrengt, doch nur der leise Wind, der die gefrorenen Zweige der Birken bewegte und sich in dem nahen Schlehengestrüpp verfing, war zu hören. Ein Schaf blökte und Aischa öffnete die Augen, bemerkte da erst, dass sie sie geschlossen hatte.
Idyllisch, dachte sie. Dieser Ort trifft es genau. Ihr Blick schweifte über den Garten rechts von ihr. Der Schnee lag wie Puderzucker auf den gelbbraunen Resten des Sommers, Raureif bildete filigrane Muster an den langen Gräsern, wob sie zu elbisch anmutenden Skulpturen.
Die kalte Luft kitzelte in Aischas Nase. Gegenüber des Gartens lag ein etwas baufälliges Gebäude, aus welchem unverkennbarer Stallgeruch warm zu ihr herüberwehte. Sie musterte das Haus und entdeckte Lily, die in der Haustür stand und ihr zulächelte. Neben ihr erschien langsamen Schrittes ein brauner Hund, dessen graue Schnauze sein hohes Alter verriet. Er ließ sich zu einem einzigen Bellen herab, wedelte dafür umso eifriger mit der Rute, als Aischa näher kam.
„Willkommen! Du hast es gefunden“, stellte Lily fest. Ihre schönen Augen leuchteten und Aischa vermeinte zu sehen, dass ihr Mund etwas bebte. Sie selbst spürte ihre Finger zittern und den dringenden Wunsch, Lily zu umarmen, sie in ihre Arme zu ziehen. Sie wirkte zierlich in ihrem viel zu langen dunkelroten Pullover und der Jeans. Die Haare trug sie offen und sie fielen ihr weich auf die Schultern.
„Mein Navi hatte ein wenig Probleme, diesen Ort zu finden“, gab Aischa zu und holte den Kuchen aus dem Auto. „Ich freue mich … dich zu sehen.“ Das winzige Zögern musste Lily auffallen, sie scheuchte jedoch nur den Hund zurück ins Haus und öffnete ihr die Tür weit.
„Biene ist alt und taub, aber friedlich“, stellte sie den braunen Hund vor, der schwanzwedelnd vor ihnen durch den Flur trabte. Ihr Gespräch kam mühsam in Gang, eine gewisse Spannung lag in der Luft. Beide Frauen lächelten sich häufig an, wussten jedoch nicht recht, wie sie einander ansehen sollten. Schließlich bot Lily an, Aischa das Haus zu zeigen.
Staunend sah diese sich um, ließ sich von Lily erklären, wie sie das alte Gebäude größtenteils selbst renoviert hatte. Alles wirkte ein wenig alt, jedoch nicht heruntergekommen. Lehmputz an den Wänden strahlte rustikale Gemütlichkeit aus und Aischa blieb bewundernd vor Lilys Bildern, die im Wohnzimmer hingen, stehen. Vornehmlich Landschaftsbilder, zarte Tuschezeichnungen, die Stimmung mit wenigen Strichen eingefangen. Nur eins zeigte ein kleines Mädchen inmitten von Aquarellblumen.
„Meine Tochter.“ Lily war neben Aischa getreten, dicht, ganz dicht, sodass sich ihre Schultern berührten. Aischa spürte sie beben, vernahm ihr leises Seufzen. „Ihr Name war Angelina.“ Bestürzt wandte Aischa den Kopf, kam Lily ganz nahe. Diese sah sie direkt an. Lilys Duft umhüllte sie, zog sie magisch an. Sie wollte ihre Nase in die sanfte Beuge ihres Halses drücken, die weiche Haut mit den Lippen liebkosen, den Duft direkt von der Haut aufnehmen. Sie wagte es nur nicht.
Feuchtigkeit glitzerte in Lilys Augen und sie
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