Feuersteins Drittes
beheben, wurde von allen Seiten gebohrt und gehämmert. Da kriegt man nur Mordgedanken, wenn man trotzdem zu schlafen versucht.
Zum Einzugsmarsch der polnischen Band präsentierte sich das Taufkomitee: unser Kreuzfahrtdirektor als Neptun mit Muschelkrone, Dreizack und einem algengrünen Gesicht, grüner noch, als ich es im schlimmsten Zustand der Seekrankheit hatte, Arm in Arm mit seinem Assistenten, dem Ex-Clown, der als Tethys verkleidet war, die »Gattin Neptuns« — eine arge Beleidigung für uns Bildungsbürger, die wir nur zu gut wissen, dass Tethys mit dem griechischen Meeresgott Okeanos verheiratet war, während sein römischer Nachfolger Neptun nur ein paar Nixen zum Spielen hatte, aber keine feste Partnerin, sonst wäre er ja wohl nicht zum Schirmherrn der Matrosen geworden. Als Dritte im Team die attraktive, aber leider immer ein bisschen dümmlich lächelnde Tante aus dem Verkaufsbüro als Eisjungfrau mit Glitzerkostüm und Silberhaar, und schließlich als Vierter, direkt vom Nordpol angereist, der Weihnachtsmann, und zwar der echte, wie ich glaube, denn ich hatte diesen Typ bisher noch nie an Bord gesehen. Dazu ein paar seiner Elche, vermutlich die Showgirls von Bonsoir Paris, nach den langen, geilen Beinen zu schließen, außer, es gibt in dieser Gegend tatsächlich Elche, die an langen, geilen Beinen Netzstrümpfe tragen.
So verläuft die Zeremonie: Der Täufling kniet vor Neptun, küsst einen riesigen rohen Fisch und bekommt Mehlteig in die Haare geschmiert. Dann wird er ins Wasser gestoßen, und wenn er wieder rauskommt, kriegt er eine Urkunde.
Wenn heute auf der Dinner-Karte als Empfehlung des Chefkochs »Geküsster Fisch im Mehlmantel« angeboten wird, werde ich dieses Gericht nicht bestellen.
LOGBUCH 11. JULI
Seetag, Kurs N
6° Luft, 4° Wasser, bewölkt; Barometer 1009
Mitternachtssonne
Merkwürdig: Die Sonne gleißt, das Wasser ist glatt wie Öl, und trotzdem schaukelt es mächtig.
Als ich vor ein paar Tagen in der Tischrunde das Thema »Seekrankheit« angeschnitten hatte, schrie Frau Dorsch »KANDIERTER INGWER!«, und der halbe Saal drehte sich um und nickte zustimmend. Tatsächlich gilt kantlierter Ingwer unter Kreuzfahrern als beste Vorbeugung gegen Seekrankheit, weshalb ich ab sofort bei jeder Gelegenheit eine Hand voll dieses widerlich süßen Gaumenklebers zusammenraffte, der auf einem Tablett am Ausgang des Speisesaals ausliegt. Leider hielt die Wirkung nicht lange an, denn inzwischen habe ich mich so sehr mit diesen schimmelweißen Kotzbrocken überfressen, dass schon der Gedanke an kantlierten Ingwer mindestens so große Übelkeit auslöst wie die Seekrankheit selbst.
Meine aufkommende Mulmigkeit bekämpfte ich mit dem ältesten aller Mittel: einem herzhaften Deckspaziergang im eisigen Fahrtwind mit geblähten Backen, Atemwolken und flatterndem Schal. Genau 250 Meter misst die komplette Strecke auf dem Promenadendeck rund um das Schiff, vier Runden also ein Kilometer und sieben eine Meile. Für Jogger gibt es eine Startmarkierung, wo wie beim Minigolf Zettel und Bleistift ausliegen, damit man seine Leistung gewissenhaft protokollieren kann. Tatsächlich rannten mir bei jedem Deckbesuch ein paar Läufer über den Weg, egal zu welcher Zeit oder bei welchem Wetter, wahrscheinlich Hamburger, die ihren ererbten Zwang, rund um die Alster zu laufen, auf diese Weise ausleben. Niemand scheint übrigens an der Protokollierung interessiert zu sein: Ich habe, stets im Dienst der vergleichenden Wissenschaft, auf dem obersten Zettel ein Kreuzchen gemacht, und nach vier Tagen war mein Zettel heute immer noch der oberste.
Überhaupt wird vom sportlichen Angebot kaum Gebrauch gemacht. Niemand spielt Shuffleboard, was der Inbegriff nobler Hochsee-Aktivität ist, und im ringsum vergitterten »Golfkäfig«, ganz oben auf dem Brückendeck, dreschen gerade mal zwei oder drei Leute lustlos auf ihre Bälle ein. Sogar im Großen Salon, bei den »Streck- und Dehnübungen« auf dem Sofa, räkelt sich selten mehr als ein Dutzend — wahrscheinlich, weil die meisten von uns in einem Alter sind, in dem man froh ist, dass der Körper überhaupt noch da ist. Da will man ihn nicht auch noch beanspruchen. Der Hauptgrund freilich dürfte wohl darin hegen, dass man einfach zu müde vom vielen Essen ist.
Ab sechs Uhr gibt es das frühe Frühstück, ab halb sieben das servierte Frühstück und ab acht das große Frühstücksbuffet, nahtlos gefolgt von dem Vormittagssüppchen für den kleinen Hunger
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