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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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zwischendurch um elf Uhr. Ab halb eins hat man dann die Wahl zwischen dem servierten Mittagessen im Speisesaal und dem Mittagsbuffet im Lido-Cafe, und um 16 Uhr folgt die Teestunde mit Torten- und Eisbuffet. Ab 19 Uhr das große Dinner und vor dem Schlafengehen, kurz vor Mitternacht, der kleine Nachtimbiss. Danach gibt es nichts bis sechs Uhr morgens. Da muss man elend hungern.

    Beim Deckspaziergang stießen wir immer wieder auf Leute mit angesetzten Ferngläsern, die plötzlich »WALE!« schrien und auf einen Punkt in der Ferne zeigten.
    »Siehst du die auch?«, fragte meine Frau, und ich sagte »Natürlich!«, obwohl ich nichts sah, wie immer. Aber wenn ich zugebe, dass ich nichts sehe, glaubt sie wie der Rest der Menschheit, dass man zum Sehen gezwungen werden könne, wenn der andere oft genug »DORT!« brüllt und mit dem Zeigefinger Löcher in die Luft sticht. Also lüge ich, um meine Ruhe zu haben.
    Endlich sah auch ich was durchs Fernglas. »WALE!«, schrie ich und fragte meine Frau nicht ohne Triumph: »Na, siehst du die auch?« Sie schaute durchs Fernglas und antwortete: »Das ist eine Eisscholle.« Wieso gönnt sie mir nichts? Sie könnte doch genauso lügen wie ich, um mir eine Freude zu machen? Außerdem ist eine Eisscholle an dieser Stelle ohnehin viel wichtiger als ein Wal, denn sie beweist, dass wir WIRKLICH im Eismeer sind und WIRKLICH dem Nordpol näher kommen.
    Fast 800 Kilometer sind wir in den letzten 24 Stunden nach Norden gerückt, und knapp 100 Kilometer nach Osten, aber die Letzteren genügen, um heute Nacht die Uhren um eine Stunde vorstellen zu müssen, von der englisch-isläntlischen Zeit wieder zurück zur norwegischdeutschen. Immer enger werden jetzt die Längengrade und damit die Zeitgrenzen, bis man dann auf dem Nordpol die Uhr 24 Mal umstellen muss, wenn man sich einmal im Kreis dreht.
    Mein Mittagsschlaf ist vorhin zum zweiten Mal ausgefallen, weil wegen des Rohrbruchs auch heute wieder heftig gehämmert und gebohrt wird, auch in der Kabine von Horst, einem unserer vier Eintänzer, der Gentlemen Hosts. Ich hatte immer vermutet, dass er eine Art Playboy-Suite bewohnt, wo die Witwen in Etagenbetten gestapelt sind, bis sie drankommen. Als ich vorhin daran vorbeiging, öffnete gerade jemand die Tür und belehrte mich eines Besseren: Es ist eine muffige, fensterlose Winzkammer. Horst saß in Unterhosen auf dem Bett und bandagierte ächzend sein linkes Knie bis hinunter zu den Waden. Klarer Fall von Berufskrankheit. Wahrscheinlich kann er jetzt nur noch auf einem Bein tanzen. Ob davon wohl der Name »Eintänzer« kommt? Vielleicht ist das doch nicht der Traumjob fürs Alter von uns Freiberuflern, die wir nie in die Rentenkasse eingezahlt haben. Ich beschließe, die Arbeit unserer Gentlemen Hosts genauer zu beobachten.
    Statt des Schläfchens könnte ich jetzt zur Opal-Show in der Garden Lounge gehen, auf der ein australischer Händler »ausschließlich Einzelstücke zeigt, da kein Opal dem anderen gleicht«, wie es in der Anküntligung hieß. Aber da will ich allein schon aus Gründen der Sprachlogik nicht hin, denn diese Behauptung ist unhaltbar: Auch Opale, die einander gleichen, sind Einzelstücke. Außerdem ist nur der Kerl unsympathisch bis in die Knochen: ein eitler Lackaffe, der als Einziger beim Captain’s Dinner einen Frack trug. Ich lege mich lieber aufs Bett und zappe unter den fünf Programmen des Bordfernsehens rum.
    Heute ist übrigens wieder »formelles« Abendessen angesagt, aber diesmal darf ich vorher in der Kabine bleiben, denn meine Frau hat nur noch drei Abendkleider zur Auswahl, da braucht sie beim Auslegen nicht mehr so viel Platz. Ich empfehle ihr, das kürzeste anzuziehen, denn die After-Dinner-Show wird heute von den Mitgliedern der Besatzung bestritten, unter dem Motto »Volkstanz International«. Da ich als Lecturer irgendwie dazugehöre, müsse sie mit dem Schlimmsten rechnen: mit mir zu tanzen. Da will ich ihr nicht wieder aufs Kleid treten wie beim Bundespresseball 1996, als wir zuletzt miteinander getanzt hatten.
    »Schon wieder?«, sagte sie. »Das ist doch erst sechs Jahre her. Kriegst du denn nie genug?«

    LOGBUCH 12. JULI
    Magdalenenbucht, Spitzbergen
    6°, leicht bewölkt; Barometer 1006
    Mitternachtssonne

    Bisher sind wir in jener Rinne nordwärts gefahren, die der Golfstrom im Sommer zwischen Grönland und Spitzbergen eisfrei hält. Aber allmählich war seine Wärme verbraucht, die Eisschollen hatten sich vermehrt, und der Kapitän drosselte die

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