Feuertanz
Natürlich besucht sie nicht die Hochschule.«
»Unterrichten Sie jeden Tag?«
»Nein. Ich unterrichte montags, donnerstags und sonntags im Haus des Tanzes und zwar nachmittags und abends.«
»Deswegen hat also die Mutter von Sophies Freundin beide Mädchen zur Tanzstunde gefahren, und Sie haben sie mit zurück genommen.«
»Ja. Montag habe ich einen langen Tag. Da arbeite ich von eins bis acht Uhr abends. Sophie und Tessan tanzen beide in meiner letzten Gruppe. Klassisches Ballett, Stufe drei. Mit Stufe vier hört es auf. Für die muss man aber mindestens dreizehn sein. Die meisten gehen anschließend auf ein Gymnasium, das Ballett als Wahlfach anbietet. Es ist wahnsinnig schwer, da reinzukommen!«
»Und danach kann man dann die Aufnahmeprüfung für die Hochschule für Tanz machen«, vermutete Irene.
»Genau. Aber dort unterrichte ich nur ab und zu. Und zwar wenn sich die Studenten mit klassischem Ballett und Showdance befassen. Das sind meine Fächer.«
»Sind das auch deine Fächer, Sophie?«, fragte Irene und wandte sich an das Mädchen.
Sie hatte gehofft, sie mit dieser direkten Frage so zu überrumpeln, dass sie aus purer Überraschung antwortete. Aber die List verfing nicht. Sophie hob den Blick von ihren Händen und sah Irene direkt an. Ihre Miene war vollkommen ausdruckslos, und in ihren Augen ließ sich nicht die geringste Veränderung ablesen.
Ein Gefühl der Resignation machte sich in Irene breit. Das Schweigen dieses Mädchens bereitete ihr Mühe. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass es ihr nicht gelingen würde, die Wahrheit über den Brand in Björkil herauszufinden. Andererseits hatten selbst so routinierte Ermittler wie Kommissar Andersson und Hans Borg die Flinte ins Korn werfen müssen, was Sophie Malmborg betraf. Dieser Gedanke verlieh Irene neue Kraft, das Gespräch mit Angelica fortzusetzen, die ja immerhin ihre Fragen beantwortete und hin und wieder geradezu gesprächig wurde.
Irene folgte einer plötzlichen Eingebung, stand auf und sah Sophie an.
»Sophie, kannst du einen Augenblick hier im Zimmer allein bleiben? Ich will mich mit deiner Mutter unter vier Augen unterhalten. Ich verspreche, dass wir nicht lange weg sind«, sagte sie ruhig.
Noch ehe Angelica reagieren und protestieren konnte, wandte sich Irene ihr zu.
»Kommen Sie!«
Sie legte ihre Hand leicht auf Angelicas Schulter und lächelte sie aufmunternd an. Widerwillig erhob sich diese und folgte ihr auf den Gang. Irene schaute ins Nebenzimmer und bat die Frau von der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Sophie im Auge zu behalten. Anschließend nahm sie Angelica mit in ihr Büro.
»Bitte, treten Sie doch ein«, sagte sie mit einer einladenden Handbewegung.
Wie erhofft saß Tommy im Zimmer und las in einer Akte. Als Irene die Tür öffnete, schaute er auf und lächelte Angelica an. Angelica lächelte zurück. Die Verwandlung erfolgte augenblicklich. Die zerbrechliche Frau reckte sich und schwebte über die Schwelle. Ihre dünnen Finger glitten rasch über ihr glänzendes Haar und strichen mit einer koketten Handbewegung eine Strähne hinter das eine Ohr. Immer noch lächelnd und mit wiegenden Hüften ging sie auf Tommy zu, der sich erhob und ihr die Hand entgegenstreckte. Graziös reichte ihm Angelica ihre kleine Hand und turtelte mehrere Oktaven tiefer als vorher: »Hallo. Ich bin Angelica Malmborg.«
»Ich heiße Tommy Persson.«
Das Begehren in dem Blick, den sie Tommy zuwarf, hätte die Lenden eines Eunuchen zum Leben erwecken können. Nur selten hatte Irene eine so deutliche sexuelle Aufforderung gesehen. Tommy sah zwar gut aus, aber Frauen verliebten sich eigentlich nicht auf den ersten Blick in ihn. Jedenfalls nicht, soweit Irene wusste. Hingerissen betrachtete Tommy die schöne Frau, die so vollkommen unerwartet in sein langweiliges Büro getreten war und ihn von der Routinearbeit abhielt.
Rasch versuchte Irene die pheromongeschwängerte Atmosphäre zu durchbrechen.
»Tommy, ich habe Angelica gebeten, mich einen Augenblick nach draußen zu begleiten. Es gibt ein paar Fragen, die ich ihr gerne stellen würde, ohne dass Sophie sie hört. Persönliche Fragen über Sophie und … tja, einige Ungereimtheiten in den Unterlagen.«
Sie wandte sich Angelica zu und zwang sich zu einem offenen Lächeln.
»Hätten Sie gern einen Kaffee?«
»Ja, danke«, antwortete Angelica, ohne ihren Blick von Tommy zu lösen.
»Ich hole einen«, sagte Irene.
Weder Tommy noch Angelica bemerkten, dass sie das Zimmer verließ. Irene war
Weitere Kostenlose Bücher