Feuertanz
nicht einmal der Arzt entscheiden kann, ob der Patient noch lebt. Sophie wies eine hohe Konzentration von Opiaten im Blut auf. Wahrscheinlich wäre sie an der Überdosis gestorben, wenn sie nicht verbrannt wäre.«
Andersson schwieg lange. Schließlich sagte er mit tiefem Seufzer: »Du meinst also, dass wir unendlich viel Zeit und Mittel auf zwei suspekte Todesfälle verschwendet haben, bei denen es sich also nicht um Morde handelte?«
»Scheint so«, pflichtete ihm der Psychiater bei.
Nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: »Unglückliche Umstände. Unglückliche Menschen. Und eine unglückliche Familie.«
Wieder wurde es still im Zimmer. Der Gerichtspsychologe nahm seine randlose Brille ab und meinte: »Wie wär’s mit einer Tasse Kaffee?«
EPILOG
»Der Arzt sagt, dass ich erst wieder nach Weihnachten arbeiten darf«, sagte Krister seufzend und ließ sich tiefer ins Sofa sinken.
»Das musst du dann wohl beherzigen«, vermutete Irene.
Krister warf ihr einen verärgerten Blick zu und fauchte: »Undenkbar! Letztes Wochenende hatten wir das erste Weihnachtsbüfett. Und bis Neujahr geht das so weiter! Ich muss einfach dort sein!«
»Du sagst doch selbst immer, dass niemand unersetzlich ist …«
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, hätte sie sich am liebsten die Zunge abgebissen. Krister wurde hochrot und sah aus, als wolle er sich gleich auf sie stürzen.
»Ausgerechnet du musst so etwas sagen! Du bist doch nie zu Hause!«
Er stand abrupt vom Sofa auf, ging mit energischen Schritten ins Schlafzimmer und knallte die Tür zu.
Sprachlos blieb Irene auf dem Sofa sitzen. Was war bloß mit ihrem freundlichen Ehemann passiert, der nie oder höchstens ganz selten einmal laut wurde? Der nie klagte oder jammerte. Der seine Familie und seine Arbeit liebte.
Krister hatte nach anfänglichem Sträuben eingewilligt, Tabletten zu nehmen. So allmählich sah er ein, dass er wirklich kürzer treten musste. Der Herbst war zu anstrengend gewesen. Im Grunde genommen waren die ganzen letzten Jahre zu stressig gewesen. Er konnte sich immer noch nicht daran erinnern, was in den Stunden seines Gedächtnisschwunds geschehen war.
Am ersten Tag des neuen Jahres saßen sie in der Küche und tranken ihren Vormittagskaffee. Krister tunkte die erste Safranschnecke des Jahres in den Kaffee und schlürfte genüsslich. Irene war mit Sammie draußen gewesen und wärmte sich die Hände an der Kaffeetasse. Beide zuckten zusammen, als das Schrillen des Telefons den Feiertagsfrieden unterbrach. Krister erhob sich und sagte: »Bleib sitzen. Ich heb ab.«
Er ging in die Diele. Nach einer Weile bekam Irene mit, dass es wohl seine Cousine Inga-Maj aus Arvika war. Sie unterhielten sich ausführlich miteinander. Mehrmals hörte Irene das Wort »ausgebrannt«.
Als Krister in die Küche zurückkehrte, gluckste er.
»Das war Inga-Maj. Sie hat mir von zwei Kolleginnen aus dem Pflegeheim erzählt, die auch ausgebrannt sind. Gewissermaßen, um mich zu trösten, damit ich nicht das Gefühl haben muss, dass es nur mir so ergeht. Aber in Arvika sagt man nicht, so viele Leute seien neuerdings ausgebrannt. Weißt du, was sie da sagen?«
»Nein, wie sagt man in Arvika?«
»Heutzutage sind so viele verbrannt«, sagte Krister und ahmte den breiten Värmlands-Dialekt, den man in Arvika sprach, nach.
Irene lächelte und begriff, dass ihr Mann und sie vollkommen unterschiedliche Assoziationen hatten. Sie sah plötzlich das Bild eines herzförmigen Mädchengesichts vor sich. Das Mädchen blickte ihr mit seinen großen braunen Augen geradewegs ins Gesicht. Um ihre ernsten Lippen begann ein leises Lächeln zu spielen, und in ihren Augen war ein Glitzern zu erkennen. Sachte verblasste das Bild. Irene ahnte, dass sie es zum letzten Mal gesehen hatte.
»Verbrannt«, wiederholte sie.
Ein großes Dankeschön an:
Florin Montoyo, Chefin der Ballettakademie in Göteborg, die mir die Räumlichkeiten zeigte und mich mit nützlichen Hinweisen zur gegenwärtigen Tanzausbildung versah.
Meine langjährige Freundin Tuula Dajén. Sie ist nicht nur Realschullehrerin, sondern auch ausgebildete Tänzerin und Choreographin. Seit einigen Jahren betreut und leitet sie diverse kulturelle Projekte. 1980 gründete sie die Ballettschule in Sunne, aus der in den letzten Jahren viele Berufstänzerinnen und -tänzer hervorgingen. Durch ihre Begeisterung und ihre Begabung hat sie das Tanzinteresse meiner Tochter geweckt. Während der zehn Jahre, die meine Tochter
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