Feuertanz
Handbewegung bedeutete er ihr, sich zu ihnen an den Tisch zu setzen.
Eine verlebte Blondine mit geschwärzten Lidern und schwarzem Lippenstift warf dem Neuankömmling einen missmutigen Blick zu. Anschließend erhob sie sich von ihrem Stuhl, um sich auf unsicheren Beinen einen Weg zu den Toiletten zu bahnen.
Die schweigende Frau setzte sich steif auf den freien Stuhl und blickte den Schwarzhaarigen unverwandt an. Dieser schien ihre eisige Ausstrahlung gar nicht zu bemerken. Er legte seinen Arm um ihre Schultern. Widerwillig ließ sie sich von ihm an sich ziehen. Ihr Gesicht und ihr Körper verloren etwas von seiner Anspannung. Einer der jungen Männer deklamierte lautstark ein Gedicht, das stark vom Poetry Slam beeinflusst als sein Vortrag zu Ende war. Sie lächelte sogar über einen Scherz des schwarz gekleideten Poeten.
Ein Wachmann in dunklem Anzug machte die Runde und teilte den verbliebenen Gästen mit, es sei Feierabend. Der Gruppe am Tisch ganz hinten im Lokal hatten sich inzwischen einige ältere Menschen angeschlossen. Ein großer Mann mit weißem Kurzhaarschnitt schien der Mittelpunkt der Gesellschaft zu sein. Er war doppelt so alt wie die meisten der jungen Leute hier, war aber ein bekannter Schriftsteller und kannte offenbar jemanden aus der Clique. Die Blondine mit dem verschmierten schwarzen Make-up kehrte von einem auffallend langen Toilettenbesuch zurück.
»Wir gehen hoch zu mir und machen da weiter. Ich habe eine Suite im obersten Stockwerk«, lallte der weißhaarige Autor.
Die Gesellschaft erhob sich und steuerte die Fahrstühle an. Als sich die Lifttüren öffneten, drängten alle lärmend und lachend in den Aufzug. Alle, mit Ausnahme der Frau im Minirock und den rosa Strumpfhosen.
»Ich geh zu Fuß«, sagte sie.
Das waren ihre ersten Worte an diesem Abend. Die anderen versuchten sie mit Zurufen in den bereits überfüllten Fahrstuhl zu locken. Davon unbeeindruckt ging sie auf die breite Treppe zu. Der Wachmann ließ sie vorbei, er wusste ja, dass sie zur Gesellschaft des Schriftstellers gehörte. Das Letzte, was sie von ihr sahen, ehe sich die Aufzugtüren schlossen, war das Licht der Kronleuchter, das sich in ihrem kurz geschnittenen Haar widerspiegelte.
ERSTER TEIL 1989-1990
Sie musste dringend aufs Klo, versuchte aber nicht daran zu denken. Sie radelte so schnell sie konnte, um rechtzeitig den kleinen Laden zu erreichen. Tessans Mutter würde nicht warten, das war nicht ihre Art. Kam man nicht pünktlich, nahm sie einen nicht zum Training mit. Sie war aber darauf angewiesen, denn sonst schaffte sie es zeitlich nicht. Mit dem Bus dauerte es mehr als doppelt so lang. Die Trainingsstunde wäre vorbei, bevor sie dort eingetroffen wäre. Es hatte keinen Sinn, diese Möglichkeit auch nur in Erwägung zu ziehen.
Ihr Fahrrad war fast neu, und sie trat mit aller Macht in die Pedale. Der schmale, unbefestigte und unbeleuchtete Weg erstreckte sich dunkel vor ihr, was keine Rolle spielte, denn sie kannte hier jeden Stein. Sie war hier unzählige Male entlanggefahren. Das dichte Gebüsch beidseits des Weges war allerdings furchteinflößend. Mama hatte sie vor bösen Männern gewarnt. Wenn jetzt hinter einem der Büsche ein böser Mann stand?
Böse Männer – böse Männer – böse Männer – böse Männer … diese zwei Worte gingen ihr immer wieder durch den Kopf, während sie mit mechanischer Regelmäßigkeit in die Pedale trat.
Ein Gefühl der Erleichterung überkam sie, als sie die Laternen der großen Straße sah. Sie musste anhalten, um einige Autos vorbeizulassen, stieg von ihrem Fahrrad und schaute auf die erleuchtete Fassade des Lebensmittelladens auf der anderen Seite. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie das rote Auto von Tessans Mutter auf dem Parkplatz vor dem Laden entdeckte. Rasch schwang sie sich wieder auf den Sattel. Beinahe wäre sie von einem Lastwagen überfahren worden, als sie die Straße überquerte. Ganz knapp kam sie vorbei. Der Laster bremste hupend und laut quietschend ab. Atemlos blieb sie vor dem roten Audi stehen und warf ihr Fahrrad in die Büsche. Mit steifen Fingern öffnete sie eine der hinteren Türen und warf sich auf die Rückbank. Tessan saß wie immer auf dem Beifahrersitz neben ihrer Mutter.
»Aber Sophie! Das hätte ins Auge gehen können! Der Laster hätte dich fast überfahren! Außerdem solltest du dein Fahrrad abschließen!«
Das Herz pochte Sophie bis zum Hals. Sie hörte gar nicht, was Tessans Mutter sagte. Keuchend saß sie da und
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