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Feuerwogen

Feuerwogen

Titel: Feuerwogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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klar denken. Der Blutverlust, der Schlafmangel und die Sorge um Nick zerrten an ihr. Ihr Kopf war angefüllt mit einem weißen Rauschen.
    »Ich brauche …«
Zeit.
»Wasser«, würgte sie hervor.
    »Natürlich.« Donna füllte den Becher unter dem Wasserhahn und hielt ihn ihr eifrig hin. »Das wird alles leichter machen«, versprach sie. »Du wirst schon sehen.«
     
    Die Festung wartete wie ein schlafender Drache über ihm in der Dunkelheit. Unheilvoll. Atmend.
    Dylan wrang die Shorts aus, bevor er sie wieder anzog. Da er mit einem Hinterhalt rechnete, war er in Robbengestalt an Land geglitten, sein schwarzes Tauchermesser zwischen den Zähnen. Er steckte die Waffe – die er vor Jahren aus dem Wrack eines Schiffs der Kriegsmarine geborgen hatte – an den Hosenbund. Feuerwaffen empfahlen sich nicht im Kampf gegen die Kinder des Feuers.
    Außerdem konnte Dylan mit einer Pistole im Mund nicht schwimmen.
    Er schob sein Seehundfell unter einen Felsen am Rande des Wassers, darauf vertrauend, dass Nacht und Nebel es verbergen würden. Er entstieg der Brandung und hüllte sich mit einem Blendzauber ein, der ihn gegen Dämonenblicke abschirmen sollte. Der Wind pfiff scharf und heimtückisch über die Felsen. Er zerrte an seiner Tarnung und stellte die Härchen in seinem Nacken auf.
    Fröstelnd erwartete er, dass ihn etwas aus der Dunkelheit anspringen würde. Eine Wache. Ein Gefängniswärter. Ein Dämon.
    Aber nur der Wind war da, und er trug den kalten Hauch von Moder und feuchter Asche, ertränktem Feuer und kleinen, toten Dingen heran.
    Dylan atmete tief durch und kletterte die Felsen empor.
    Und spazierte geradewegs in eine Mauer aus Feuer.
    Schmerz. Hitze.
    Es versengte ihm Mund und Rachen, sog das Wasser aus seinen Augäpfeln und den Sauerstoff aus seinen Lungen.
    Aber er war ein Selkie. Die Kraft des Meeres strömte durch sein Blut, und ein menschliches Ziel, tief und weit wie der Ozean, trieb ihn an. Er würde Regina nicht im Stich lassen. Er würde nicht versagen. Seine eigene Kraft erhob sich zu einer Flutwelle. Das Aufrufen des Wächtermals an der Wand des Restaurants hatte ihn verändert, als ob seine Gabe über die Ufer getreten wäre und neue Kanäle, neue Flussbetten in ihm gefunden hätte.
    Das Feuer war nicht real, erkannte er undeutlich. Es war ein Blitz aus Energie, eine Mauer der Täuschung, zur Abschreckung bestimmt. Er straffte die Schultern und ging durch die Flammen, ohne zu verbrennen, und sie erstarben hinter ihm.
    Er holte unsicher Atem. Nur ein sehr schwacher Dämonengeruch verpestete die Luft. Vielleicht waren sie … fort? Hatten sich davongestohlen. Oder ihr magisches Feuer hatte seine Nase geröstet.
    Er betrachtete die Festung, die etwa vierzig Meter über der Wasserlinie kauerte; das Dach war mit Gras bepflanzt, als wäre sie ein Hügel. Es roch nach Tod und Verlassenheit.
    Und nach noch etwas.
    Sein Herz hämmerte.
    Nick.
    Er fühlte, dass der Junge in diesen rohen, dunklen Mauern gefangen war wie ein Sandkorn in einer Auster. Ganz nah.
    Dylan zog sein Messer. Er ging in die Hocke und kroch über die Felsen; dabei versuchte er, nicht wie ein Bär oder ein ungeschickter Seehund außerhalb des Wassers durch die Büsche zu brechen. Er hätte Schuhe anziehen sollen. Als er die Festung erreichte, blieb er stehen und schnupperte erneut. Nichts.
    Das hier war zu einfach.
    Es musste eine Falle sein.
    Er holte tief Luft und schlich auf der Suche nach einer Öffnung an der Mauer entlang.
    Er fand einen Zugang im Schatten des Hügels unter einem weiß wirbelnden Graffito, der Hinterlassenschaft menschlicher Vandalen, nicht von Dämonen. Er wartete, lauschte und schlüpfte dann hinein.
    Die Öffnungen, die man in die dicken Mauern eingelassen hatte, waren für Kanonen gedacht gewesen, nicht für Licht. Ein matter Mond schwamm in seichten, rechteckigen Pfützen auf dem geborstenen Boden. Die Mauern schimmerten feucht.
    Dylan brauchte kein Mondlicht. Seine Augen waren für die Dunkelheit gemacht. Aber die Notwendigkeit, vorsichtig zu Werke zu gehen, behinderte ihn wie eine Augenbinde. Leise Geräusche hallten in dem abgeschotteten Gemäuer wider. Das Keuchen seines Atems. Das Scharren seiner Füße.
    Keine anderen Schritte.
    Wo war Nick?
    Da hörte er aus dem unteren Geschoss ein Kratzen und ein ersticktes Wimmern.
    Er sah durch den löchrigen Boden, der früher einmal einen Vorratsraum bedeckt haben musste, und entdeckte Nick, der mit leichenblassem Gesicht und geschlossenen Augen zusammengekauert am

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