Fey 02: Das Schattenportal
stehengelassen hatte. »Bring das dort bitte in die Sakristei hinunter. Wir haben vom Rocaan neues Weihwasser für die Messe heute abend bekommen.«
»Sehr wohl, Hochgeehrter Herr.« Der Aud ging zum Tisch und hob ächzend die Kiste an. Tel folgte ihm hinaus auf den Flur. Tel wußte, daß das nicht üblich war, doch falls ihn jemand danach fragte, würde er sagen, er müsse sich davon überzeugen, daß das neue Weihwasser sicher in die Sakristei gelangte.
In Wahrheit wollte er nur genau wissen, wo sich die Flaschen befanden. Also folgte er dem Aud durch die Korridore, wobei er sein Gewand eng um sich schlug, um ja nichts zu berühren oder umzustoßen. Seine größte Angst war, daß in diesem Gebäude noch ein zweites Gift existierte, ein Gift, von dem die Hüter und Rugar nichts wußten.
Als Tel sich den Audienzräumen näherte, hörte er Stimmen. Der Aud ging mit gesenktem Kopf weiter, als hörte er nichts. Tel wollte stehenbleiben und lauschen, versuchen, etwas von dem Gesagten zu erhaschen, doch das wagte er nicht. Er durfte die Flaschen nicht aus den Augen lassen.
Als er an der geschlossenen Tür vorüberkam, wurden die Stimmen lauter. Vor der Tür standen zwei Daniten, die Köpfe gesenkt und die Hände vor sich gefaltet. Tel ignorierte sie nach Ältestenart und blickte starr geradeaus, wobei er angestrengt die Ohren spitzte.
Die sanfte Stimme kannte er nicht, obwohl sie Andre vertraut war. Die lautere Stimme, die mit Kraft und Gefühl sprach, gehörte Nicholas.
Die Worte waren gedämpft, doch ein paar Sätze waren zu verstehen:
»… ein bestimmtes Muster, und da es ungewöhnlich ist, müssen wir es als bedrohlich ansehen.«
Die sanfte Stimme antwortete. Tel verstand kein Wort.
»Jedenfalls ist es nicht normal, und wir müssen alles Unnormale als Fey ansehen. Außerdem geschah es unweit von Stephan …«
Dann war Tel an der Tür vorbei. Er konnte nichts mehr hören und widerstand dem Drang, sich umzudrehen. Stephan. Stephan. Der Name kam ihm bekannt vor, aber er wußte nicht genau, welcher seiner Persönlichkeiten und in welchem Zusammenhang.
Er folgte dem Aud die schmale Hintertreppe hinunter in die Sakristei. Der Aud trat gegen die geschlossene Tür am Fuß der Treppe, sie flog auf, und er trat ein. Tel legte die Hand auf die Tür, versuchte nicht zusammenzuzucken, als seine Finger das Holz berührten, und schob sich ebenfalls hindurch.
Die Zimmer hinter der Sakristei wurden als Lagerräume und notdürftige Umkleideräume für zu spät kommende Älteste benutzt. An den Wänden hingen Ersatzroben und mehrere, unterschiedlich gearbeitete Schwerter. Der Boden war mit handgefertigten Fliesen bedeckt, auf denen dargestellt wurde, wie ein Rocaan einen König krönt. Die Rot- und Brauntöne verliehen dem Raum ein wenig Leben.
Tel war froh, daß er den Aud begleitet hatte, denn überall standen Glasfläschchen mit Weihwasser herum, einige in Kisten, andere bereits ausgepackt.
Der Aud blieb mit seiner Kiste und vor Anstrengung rotem Gesicht mitten in dem Durcheinander stehen. »Wo soll ich das hinstellen, Hochgeehrter Herr?«
Tels Hände zitterten. Ein falscher Schritt in diesem Raum, eine unbeholfene Bewegung, und er war ein toter Mann. »Stell sie unter dem Altar ab«, sagte er, dankbar dafür, daß seine Stimme gelassen klang. »Und nimm die Flaschen weg, die dort schon stehen.«
Der Aud stieß die Tür zur Sakristei mit dem Rücken auf. Tel wollte ihm nachgehen, doch der Aud grinste ihn an. »Das kann ich allein, Hochgeehrter Herr. Ihr müßt mich nicht überwachen.«
»Trotzdem«, sagte Tel. »Das ist eine wichtige Aufgabe. Der Rocaan möchte sichergehen, daß sie zur Zufriedenheit erledigt wird.«
Der Aud war schon halb durch die Tür und erwiderte: »Als er die anderen Kisten hier herunterbringen ließ, hat sich der Rocaan aber nicht darum gekümmert. Ich glaube, er traut uns zu, daß wir sie sicher unter dem Altar abstellen.«
Tel merkte, wie ihn die Angst nervös machte. »Schon richtig, aber ich bin für diese Kiste hier verantwortlich, und ich will sichergehen, daß sie vor dem Sakrament an Ort und Stelle steht.«
Der Aud schüttelte den Kopf. »Na schön«, sage er. »Ich wollte nur nicht, daß nur wegen einer Aufgabe, die ohnehin zur Zufriedenheit erledigt würde, gegen die Tradition verstoßen wird.«
Beinahe hätte Tel gefragt: Gegen welche Tradition?, doch in diesem Augenblick sprang sein Andre-Gedächtnis für ihn ein. Niemand sollte die Ältesten vor dem Mitternachtssakrament zu
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