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Fey 02: Das Schattenportal

Fey 02: Das Schattenportal

Titel: Fey 02: Das Schattenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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das nicht, daß ich mich für besser als Gott halte? Denn da Gott nicht gewillt ist, solches zu tun, so muß Er in Seiner Weisheit einen Grund dafür haben. Ich hingegen bin nur ein erbärmliches Geschöpf, kein Schöpfer. Ich habe nicht die Fähigkeit, über den Rand meiner winzigen Insel hinauszublicken. Ich sehe nicht einmal, was sich jenseits des Wassers befindet. Auch kann ich Gott nicht an seinem heiligen Ort sehen. Ich sehe nicht die Tiere in den Bäumen. Ich bin erbärmlich und nicht wert, Entscheidungen für meinen Gott zu treffen.‹«
    Wie es das Ritual vorschrieb, nahm Tel die Arme herunter und berührte das Schwert. »›Also befahl der Roca seine Männer an seine Seite. Ihre Klingen waren gezückt, aber nutzlos. Und als ihn seine Feinde an diesem heiligen Ort bedrängten, hieß er sie willkommen und bat sie zu warten, bis er sein Schwert gereinigt habe. Dann nahm er das Wasser, das ihm ein gefallener Kamerad hinterlassen hatte, und reinigte die Klinge.‹«
    Tels Hände zitterten, als er sie nach dem Regal unter dem Altar ausstreckte. Aus den Türen hinter ihm waren Daniten getreten, die sich nun neben ihm aufstellten. Er nahm in jede Hand eine Flasche und reichte sie an die Daniten weiter, ohne sie anzusehen. Als sie die Flaschen in Händen hielten, gingen sie damit zu den Bankreihen. Die ersten Daniten zu den am weitesten hinten gelegenen Reihen, wo sie stumm warteten, eine Hand unter dem Boden der Flasche, die andere um ihren Hals.
    Die Versammlung beachtete sie nicht, sondern nutzte diesen Moment zeremoniellen Schweigens, um ihre letzten Gebete vor das Ohr Gottes zu bringen. Langsam kamen die Arme wieder nach unten, und die Köpfe neigten sich, als Tel erneut zu sprechen anhob.
    Er wartete, bis der letzte Danite an seinem Platz war. Dann holte er die letzte Flasche hervor und stellte sie neben das Schwert. Seine Brust schmerzte vor Angst. Er nahm ein kleines Tuch vom zweiten Regal. Ein Klumpen war in seiner Kehle aufgestiegen, und er räusperte sich leise, bevor er fortfuhr.
    »›Während er seine Klinge reinigte, sagte der Roca folgendes zu seinen Männern.‹« Seine Stimme klang zittrig. Das nächste Zitat aus den Geschriebenen und Ungeschriebenen Worten jagte ihm mehr Angst ein als der ganze restliche Gottesdienst.
    »Er sagte: ›Ohne Wasser stirbt der Mensch. Der Körper des Menschen braucht Wasser. Sein Blut ist Wasser. Kinder werden in einem Schwall Wasser geboren. Wasser hält uns rein. Es hält uns gesund. Es hält uns am Leben. Im Wasser sind wir Gott am nächsten.‹ Aber seine Männer sagten …«
    »›Heiliger Herr, wenn ein Mensch zu lange im Wasser bleibt, muß er sterben.‹« Die Versammlung und die Daniten antworteten mechanisch.
    »Und der Roca sah sie alle mit großem Bedauern in den Augen an. ›Der Mensch stirbt nur, wenn er nicht rein genug ist, um zu Gottes Füßen zu sitzen.‹« Jetzt nahm Tel die Flasche und zog den Korken heraus. Ein leicht bitterer Geruch drang in seine Nase; Galle stieg ihm in die Kehle. Er schluckte einmal, zweimal, um sich nicht übergeben zu müssen, denn das Entsetzen war so stark, daß er am ganzen Körper zitterte. »›Wer das Wasser berührt‹, sagte der Roca zu ihnen allen, ›der berührt das Wesen Gottes.‹«
    Er goß das Wasser aus der Flasche auf das Tuch. Es dauerte einen Moment, bis es durchtränkt war, doch als das Wasser seine Hand berührte, stöhnte er unwillkürlich auf. Niemand schien es bemerkt zu haben. Die Daniten nahmen seine Geste zum Anlaß, die Flaschen durch die Reihen wandern zu lassen, und ein Gemeindemitglied nach dem anderen goß sich ein paar Tropfen auf die eigene Kleidung.
    Tel sah einen Moment lang wie versteinert zu und fragte sich, ob der Geruch des Wassers allein ihn vergiften und ihn von innen zerfressen könne. Doch seine Hand tat nicht weh, kein fauliger Geruch stieg von ihm auf. Er stieß die Luft aus, die er unbewußt angehalten hatte, und während der Strom aus ihm entwich, erfüllte ihn eine freudige Erregung.
    Vorsichtig legte er das Tuch auf die Klinge. Auch diesen Teil der Zeremonie mußte er sorgfältig ausführen. Hin und her zu reiben galt als Unglück. Frühere Rocaans hatten geglaubt, es befreie die Dämonen aus der Klinge, die Dämonen, die die Klinge zu einem Instrument des Krieges machten. Das wollte er nicht. Vielleicht hatten sie sogar recht. Was, wenn da etwas in der Klinge gefangen war, etwas ebenso Tödliches wie das Wasser?
    Er wischte die ganze Länge vom Griff bis zur Spitze ab, bis

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