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Fey 02: Das Schattenportal

Fey 02: Das Schattenportal

Titel: Fey 02: Das Schattenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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setzte. Zu alt. Warum hatte Gott nicht einen jüngeren Rocaan mit dieser Aufgabe betraut? Aber hätte Er noch eine Weile gewartet – bei wem hätte Er wohl anklopfen sollen? Bei Matthias? Bei Andre? Bei keinem von ihnen?
    Über ihm brannten die Fackeln in ihren Halterungen. Niemand hatte den Kronleuchter angezündet, dessen filigraner Glasschmuck tief herunterhing. An den holzvertäfelten Wänden waren Szenen aus der Zeit des Ersten Rocaan zu sehen, Darstellungen, auf denen er den Glauben in die ländlichen Gegenden brachte und seinen Bruder, den König, unterwarf. Sämtliche Stühle waren an die Wand geschoben, bis auf die beiden, auf denen er und Jung-Nicholas gesessen hatten.
    Zwei Männer waren am gleichen Tag verschwunden, an dem man im Tabernakel das Blut und die Knochen gefunden hatte. Beide Männer hatten sich seit der Ankunft der Fey eigenartig benommen. Beide Männer hatten Blut und Knochen aus den Räumen entfernt, in denen sie sich am liebsten aufhielten. Beide Männer hatten sich mit einer Katze unterhalten.
    Wie von Nicholas angeregt, würde der Rocaan Befehl geben, jede Katze, die im Tabernakel angetroffen wurde, auf der Stelle zu töten. Die Köche mußten die heimliche Fütterung ihrer Lieblinge einstellen, und womöglich dehnte der Rocaan die Anweisung auch auf Hunde aus. Es hatte keinen Sinn, die Sicherheit dieses heiligen Ortes von irgendeinem dummen Tier gefährden zu lassen.
    Außerdem würde er alle seine Leute mit Weihwasser berühren. Zuvor sollte Matthias unter seinen Augen eine neue Mischung herstellen, damit er sicher sein konnte, daß er nicht unter dem Einfluß der Fey stand und einfach nur Wasser in die Flaschen goß. Obendrein mußte jeder, der sich ungewöhnlich benahm, sofort beim Rocaan gemeldet werden, und jeder, der mehr als einmal gemeldet wurde, mußte abermals der Wasserprüfung unterzogen werden. Und wieder und wieder.
    Der Rocaan ließ sich auf einen anderen Stuhl sinken. Sein Körper kam ihm doppelt so schwer vor wie noch am Morgen. Er war nicht einfach nur müde und erschöpft, sondern desillusioniert. Er hatte den Tabernakel für eine Festung gehalten, und dann waren die Fey eingedrungen. Feinde im Inneren.
    »›Es gibt Feinde von außen wie von innen‹«, zitierte er, indem er die Heiligen Worte zusammenfaßte. »›Wir haben beschlossen … mit dem Glauben zu kämpfen.‹«
    Er nahm sein Schwert und hielt es gegen seine Stirn. Die kleine Goldschmiedearbeit fühlte sich kühl an. »Wenn ich jemals deines Beistands bedurfte, Heiligster, dann jetzt.«
    Er wartete, doch keine leise ruhige Stimme war zu vernehmen. Nur das Rauschen von Panik und Angst. Er schloß die Augen. Der Roca hatte seine Feinde an den allerheiligsten Ort geführt, doch er hatte sie nicht getötet. Statt dessen hatte er sich selbst als Opfer dargeboten, damit sein eigenes Volk weiterleben konnte. Und durch diese Tat war er der Gottgefällige geworden.
    Aber er hatte nicht danach getrachtet, gottgefällig zu sein. Der Rocaan hob den Kopf. Und darin lag der Fehler aller Rocaans. Der Roca hatte nach der Rettung seines Volkes getrachtet, sonst nichts.
    Es kam ihm nicht wie seine eigenen Gedanken vor, sondern wie eine Stimme, die ihm ins Ohr flüsterte. Er rührte sich nicht. War das die leise ruhige Stimme? Sie besaß eine Gewißheit, die ihm schon seit Jahrzehnten fehlte.
    Und er stellte sie in Frage.
    Aber er stellte nicht die Gewißheit in Frage … sondern die Stimme. Vielleicht spielte es überhaupt keine Rolle, woher die Stimme kam. Was sie gesagt hatte, war richtig. Niemals hatte der Roca sich danach gesehnt, gottgefällig zu werden. Seine Liebe war etwas, das Gott als Belohnung für die Uneigennützigkeit gewährte, mit der der Roca gehandelt hatte.
    Wenn der Rocaan jetzt aber plötzlich Selbstlosigkeit an den Tag legte, mußte es doch aussehen, als wollte er sich lediglich einschmeicheln. Er mußte tief in sein eigenes Herz blicken und herausfinden, ob es rein war. Er mußte es von dem Ehrgeiz reinigen, gottgefällig zu werden, und nur noch das Verlangen zulassen, das Erforderliche zu tun, das einzig Richtige. Sein Volk mit einem Minimum an Blutvergießen zu schützen. So wie es der Roca getan hatte.
    Bislang hatte er in dieser Hinsicht versagt.
    Aber die Heiligen Worte gaben keinerlei Hinweis darauf, ob der Roca vor der Aufnahme in die Hand Gottes versagt hatte. Niemand wußte, was ihn dazu veranlaßt hatte, die Soldaten des Feindes zum allerheiligsten Ort zu bringen. Enttäuschung? Die

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