Fey 06: Die Erben der Macht
Knien fühlten sich feucht an. Er konnte beim Kriechen die Fackel nicht ausstrecken. Der Rauch würde hier noch schlimmer sein. Außerdem brauchte er beide Hände.
Er zog die Karte aus seinem Gewand und warf einen Blick darauf. Der Verlauf des Tunnels unter der Brücke war genau eingezeichnet, und es gab keine Abzweigung. Wenn er irgendwo ohne Licht weiterkommen konnte, dann hier.
Er rollte die Karte zusammen und verstaute sie wieder im Gewand. Er trug einiges an zusätzlichem Gewicht. Seine Taschen waren mit Brot gefüllt, und um seinen Hals hing ein Beutel mit Wasser. Con haßte enge Räume, hatte sie schon immer gehaßt, schon als Kind (was ja, wenn er ehrlich war, noch nicht so lange her war). Aber er hatte seine Weisung erhalten.
Irgendwie würde er sie erfüllen.
Auf der Suche nach seinem Feuerstein klopfte er die Taschen seines Gewandes ab, bevor er den Roca um Barmherzigkeit bat und die Fackel löschte.
Es herrschte totale, undurchdringliche Finsternis. Er war noch niemals an einem so dunklen Ort gewesen. Er konnte noch nicht einmal seine Hand vor den Augen sehen. Von jetzt an mußte er sich ausschließlich auf seinen Tastsinn verlassen.
Keine angenehme Vorstellung.
Aber der Rocaan zählte auf ihn.
Rocaan, Roca und Gott. Con hatte eine Weisung erhalten. Und er würde sie in Ehren zu Ende führen.
Als sich der Rauch verzog, verbreitete sich leichter Schimmelgeruch. Modrig und unangenehm feucht. Con roch den ranzigen, fauligen Flußschlamm ganz in seiner Nähe. Der Steinboden war mit Moos bedeckt. Einige der Steine waren zu Schotter zerbröselt, der sich tief in Cons Handflächen und Knie bohrte. Er stöhnte, hielt aber nicht an.
Je schneller er hier herauskam, desto eher würde er vor dem König stehen. Und je eher er vor dem König stand, desto schneller hatte dieser Alptraum ein Ende.
Der Tunnel war inzwischen noch enger geworden. Con bemerkte es erst, als ihm klar wurde, daß er mit dem Rücken die Decke streifte. Er schnappte nach seinem Wasserbeutel und drehte ihn so, daß er vorn an seinem Hals herabhing. Sein Gewand war feucht und schwer, als sei er tatsächlich durch Wasser gekrochen, und schleifte unter seinen Knien über den Boden. Das Moos unter seinen nackten Zehen fühlte sich kalt und schleimig an. Als etwas Weiches über seine linke Wange strich, überlief ihn eine Gänsehaut, als sei er von lauter Ungeziefer umgeben. Aber er konnte sich nicht bewegen, um es zu verscheuchen, und er wußte, daß ihm seine Einbildung nur einen Streich spielte. Es gab zwar Ungeziefer, aber nur weil er ein einziges Tier gespürt hatte, mußte er sich nicht einbilden, als sei er über und über davon bedeckt.
Erstaunlich, was man sich alles einbilden konnte.
Durch die Ritzen im Stein hörte er unter sich den gurgelnden Fluß. Auf der Brücke war das Geräusch sehr laut. Hier im Tunnel hörte es sich an wie ein leises Murmeln. Während er weiterkroch, hielt er die Hände so weit wie möglich vor sich gestreckt. In seiner lebhaften Phantasie sah er Löcher im Tunnel, durch die er in den Fluß stürzen konnte.
Die einzigen Ausbuchtungen, die ihm auffielen, waren jedoch winzig und im Lauf der Zeit entstanden. Er vermutete, daß er nicht einmal den Stein fühlte, sondern den Mörtel, der sie zusammenhielt. Falls man damals überhaupt Mörtel benutzt hatte. Er hatte nicht darauf geachtet, als er in den Tunnel gekrochen war.
Die Finsternis war immer noch undurchdringlich. Seine Augen hatten sich nicht daran gewöhnt. Irgendwo hatte er gehört, daß der Cardidas an seiner schmalsten Stelle ungefähr eine Meile breit war und man dort die Brücke errichtet hatte. Con wußte nicht, wie weit er schon gekrochen war, oder wie lange es dauerte, bis man eine Meile kriechend zurückgelegt hatte. Es ängstigte ihn auch, daß der Tunnel vielleicht noch schmaler werden würde. Dann hätte er keine Möglichkeit, auf die andere Seite durchzukommen. Er würde feststecken, ganz allein, hier, wo seit Generationen keine Menschenseele mehr gewesen war. Nur der Rocaan und einige der Ältesten wußten, wo er war. Würden sie die Weisung für fehlgeschlagen halten, wenn er nicht zurückkehrte? Oder würden sie jemand hinter ihm herschicken?
Er kroch jetzt noch schneller und scheuerte sich die Handflächen an der morastigen, kiesigen Oberfläche auf. Irgendwo weiter vorn tropfte Wasser auf den Boden. Das Geräusch übertönte das schwache Gurgeln des Flusses. Er begriff nicht, wie hier Wasser eindringen konnte, falls es sich nicht
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