Fey 06: Die Erben der Macht
durchnäßt.
Titus schüttelte den Kopf. »Selbst wenn wir es versuchen, würden wir sie doch nur direkt zu den Katakomben führen. Alle, die es bis dorthin geschafft haben, haben jetzt noch eine Chance zur Flucht. Wir sollten sie ihnen nicht nehmen.«
»Und was ist mit Euch, Heiliger Herr?« fragte der junge Aud.
Ja, was war mit ihm? Er war die Schlüsselfigur zu diesem Unglück. Die meisten Fey wünschten nichts sehnlicher als seinen Tod.
»Hol ihm das Gewand eines Aud«, sagte Porciluna. »Schnell.«
»Ich hole es mir selbst«, erwiderte Titus. Noch hatten die Fey die Treppe nicht erreicht, aber dann würden Porciluna und der junge Aud sich allein helfen müssen.
Die Idee war gut. Vielleicht gelang es Titus, auf diese Weise zu entkommen.
Er kämpfte sich wieder die Stufen hinauf und riet den anderen, es ihm gleichzutun. Vielleicht konnten sie sich verstecken oder durch die Fenster fliehen. Die Fey würden gewiß nicht die ganze Zeit Wachen vor den Türen postieren. Vielleicht würden sie alle hereinkommen.
Die meisten drehten sich um und folgten ihm zurück in die oberen Stockwerke. Titus gelang es, die Tür zu einem der Schränke der Daniten im zweiten Stock aufzureißen. Ein halbes Dutzend beschmutzter Gewänder fiel auf den Boden. Es gehörte zu den Aufgaben der Auds, die Gewänder zu säubern.
Weitere Schreie ertönten von unten. Titus griff hastig nach einem Gewand und zog es über seinen Talar. Es war weit und schrecklich warm, aber es würde irgendwie gehen.
Er hatte keine andere Wahl.
Er eilte ans Fenster. Der Anblick, der sich ihm bot, war nicht besonders ermutigend. Ein Dutzend Auds wurde gerade bei lebendigem Leibe gehäutet; ihre Köpfe waren unverletzt, und sie schrien gellend bei jedem Streifen Haut, der abgelöst wurde. Die Fliesen waren blutbesudelt. Einige der kleineren Tiere hatten sich zu der Katze gesellt und leckten die roten Ströme auf, die über den Boden rannen.
Titus konnte diese Menschen nicht mehr retten. Er konnte überhaupt nichts tun. Er rannte über den Flur in ein anderes Zimmer und blickte von dort aus zum Fenster hinaus. Unter ihm spielten sich die gleichen Szenen ab wie auf der anderen Seite.
Die Fey hatten den Tabernakel umzingelt.
An Flucht war nicht zu denken.
Es sei denn, sie würden weiterziehen, wenn sie hier alle getötet hatten. Titus ging zur Treppe zurück und blieb stehen. Der Gestank war jetzt noch durchdringender und mischte sich mit dem Geruch nach Rauch, brennendem Pelz und verbranntem Fleisch. Die Hitze, die Titus spürte, hatte nichts mit seinem Gewand zu tun.
Der ganze Tabernakel stand in Flammen.
7
Die Tunnel waren dunkel. Feucht. Voller Ungeziefer. Con arbeitete sich in geduckter Haltung voran. Er vermutete, daß er nicht weit vom Fluß entfernt war, denn von den Wänden tropfte Wasser. Er sah, wie der Tunnel in einiger Entfernung so eng und niedrig wurde, daß er würde kriechen müssen.
Es war nur gut, daß der Rocaan einen Jungen von Cons Größe und Gewicht ausgewählt hatte. Jeder größere wäre hier hoffnungslos steckengeblieben.
Con hatte in kluger Voraussicht mehrere Fackeln an seinem Gürtel befestigt. Eine davon hatte er bereits verbraucht und die zweite angezündet, aber es wurde immer schwieriger, die Fackeln festzuhalten. Der Gang, in dem er sich befand, verengte sich zusehends, und ein unerklärlicher Luftzug blies ihm den Rauch direkt ins Gesicht.
Er wollte die Fackeln zwar nicht löschen, aber irgendwie mußte er schließlich atmen.
Er wartete, bis er die Stelle erreicht hatte, an der er anfangen mußte zu kriechen. Der Pfad führte hier leicht aufwärts, und er hatte das Gefühl, sich in einem Gebäude zu befinden. Auf der Karte sah es so aus, als sei der Tunnel in die Fundamente der alten Lagerhäuser eingelassen, jenen Lagerhäusern, von denen ihm sein Vater erzählt hatte. Die Fundamente waren erhalten geblieben, als die Lagerhallen schon längst nicht mehr standen, von einigen Steinresten in Ufernähe abgesehen.
Con vermutete, daß der Tunnel mitten durch das Fundament führte und dann immer weiter aufwärts bis zur Brücke. Die Brücke war ein breites steinernes Bauwerk mit vielen Bögen. Con war schon immer der Ansicht gewesen, daß hier mehr Steine als nötig verbaut worden waren, auch wenn man das Gewicht der Straße berücksichtigte.
Nun wußte er, warum.
Inzwischen hatte Con die Verengung des Tunnels erreicht und streckte seine Fackel hinein. Es war eng und schmal hier, die Steine unter seinen
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