Fiasko
schärfsten Spinogramme selber ansehen. Eine Beschreibung durch Worte kann nicht objektiv sein. Fast alles, was auf den Filmen zu sehen ist, bietet die Handhabe für eine bestimmte Interpretation, aber nicht für eine sichere Diagnose.“
„Gut.“
Sie standen auf, Nakamura schob einen Disc ins Videogerät. Dessen Bildschirm wurde hell, verwischte Streifen flimmerten darüber hin. Der Physiker hantierte an der Einstellung, das Bild wurde dunkel, und sie sahen ein kreisförmiges Spektrum mit einem runden schwarzen Fleck in der Mitte und mit einer ungleichmäßig erhellten Umgebung. Nakamura verschob das Bild, bis sich die Planetenoberfläche in der unteren Hälfte des Bildschirms befand. Über der Krümmung der undurchsichtig schwarzen Lithosphäre erstreckte sich in einem gleicherweise gewölbten Streifen ein weißlicher Dunst, der sich an der Berührungslinie mit dem Horizont verdichtete: die Atmosphäre mit winzigen Wolkenflöckchen. Der Physiker stellte das Spektrum von den leichten auf immer schwerere Elemente um. Die atmosphärischen Gase verschwanden wie weggeblasen, und die bisher undurchdringliche Schwärze der Festlandsplatte begann sich zu lichten.
Tempe, der zwischen Harrach und dem Kommandanten stand, war in die Betrachtung dessen versunken, was der Bildschirm zeigte. Mit der Planetenspinoskopie hatte er sich bereits an Bord der EURYDIKE vertraut gemacht, sie aber noch nie in einer so leistungsstarken Anwendung gesehen wie hier. Ein Nukleoskop astronomischer Reichweite nimmt den Planeten in den Griff von Magnetfeldern einer Gaußschen Intensität, die auf den Impulsgipfeln der Magnetosphäre eines Mikropulsars gleichkommt. Der Planet wird durchleuchtet, durch und durch, und die dank der Resonanz der atomaren Spins entstehenden Bilder können getrennt, zu Schichtbildaufnahmen gesondert werden, indem das steuerbare Feld auf die aufeinanderfolgenden Schichten des Himmelskörpers konzentriert wird, beginnend an der Oberfläche und immer tiefer dringend, bis in die immer heißeren Lagen des Mantels und des Kerns.
Wie das Mikrotom Schnittserien erstarrter Gewebe herstellt, die man dann nacheinander unterm Mikroskop betrachten kann, ermöglicht das Nukleoskop Aufnahmen, die Schicht für Schicht die innere Atomstruktur eines Himmelskörpers zeigen, wie es weder durch Funkortung noch durch Neutrinolotung erreichbar ist.
Für den Radar ist der Planet überhaupt nicht durchsichtig, für den Neutrinostrom indessen allzusehr. Nichts als die magnetkohärente, vielpolige Spinoskopie erlaubt daher den Blick ins Innere kosmischer Körper — jedenfalls sofern sie, wie Monde und Planeten, erkaltet sind.
Gelesen hatte Tempe darüber genug. Die ferngebündelten Magnetpotentiale ordnen die Spins der Atomkerne entlang einer Kraftlinie, und nach Abschaltung des Feldes geben die Kerne die ihnen aufgezwungene Energie wieder ab. Jedes Element des Periodensystems schwingt in einer nur ihm eigenen Resonanz. Das im Rezeptor fixierte Bild wird zum nuklearen Porträt eines Querschnitts, auf dem Sextillionen Atome die Rolle der Pünktchen auf dem gewöhnlichen Druckraster übernehmen. Die Hochleistungsnukleoskopie hat den Vorteil, daß sie den durchleuchteten materiellen Objekten und also auch Lebewesen keinen Schaden tut, und sie hat den Nachteil, daß sich beim Einsatz solcher Energie die Quellen, von denen sie ausgestrahlt wird, nicht verbergen lassen.
Den Anweisungen der Physiker folgend, filterte GOD aus den Querschnittaufnahmen jeder Schicht die Spinogramme der Elemente, die für eine technologische Nutzung besonders geeignet sind. Diese Selektion ging von einer Prämisse aus, die nicht völlig zuverlässig, aber die einzig verfügbare war: einer — zumindest teilweisen — Analogie quintanischer und irdischer Technosphäre. In die Tiefe des durchleuchteten Planeten reichte ein sich undeutlich abzeichnendes Netz von Metallen der Vanadium-, Chrom- und Platingruppe, darunter Osmium und Iridium.
Dicht unter der Oberfläche liegende Kupferstränge schienen auf Stromkabel hinzudeuten. Die Spinogramme des vom Lunoklasmus betroffenen Gebiets erwiesen chaotische Mikroherde der Verwüstung, und der Querschnitt des sternförmigen Gebildes, das man an Bord „Meduse“ nannte, sah wie ein Trümmerfeld mit Spuren von Aktiniden aus. Dort fand sich auch Kalzium. Für die Ruinen von Wohngebäuden war es zuwenig, sedimentäre Versteinerungen wies der Boden überhaupt nicht auf, und so kam
Weitere Kostenlose Bücher