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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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„Bereits zu Beginn haben wir den anderen das logische Rechnen übermittelt, dazu Konjunktionen des Typs „Wenn A, dann B“, „Wenn nicht A, dann C“ und so weiter. Wir erklären ihnen: „Wenn ihr unsere Signale nicht beantwortet, zerstören wir euren Mond, und das wird die erste Warnung vor unserer Entschlossenheit sein. Wir verlangen Kontakt.“ Und noch mal alles, was der Botschafter ihnen signalisiert hat: daß wir mit friedlichen Absichten gekommen sind, daß wir neutral bleiben, falls sie untereinander einen Konflikt austragen. Pater Arago kann sich alles durchlesen.
       Diese Verkündigungen hängen in der Steuerzentrale, und jedes Besatzungsmitglied hat ein Exemplar erhalten.“
       „Ich habe es gelesen“, sagte Arago. „Und was geschieht dann?“
       „Das machen wir von ihrer Reaktion abhängig.“
       „Meinst du, daß wir ihnen eine Frist setzen sollen?“ fragte Rotmont. „Das wäre ein Ultimatum.“
       „Nenne das, wie du willst. Wir brauchen keinen genauen Termin zu geben, sondern nur deutlich genug zu erklären, wie lange wir uns noch zurückhalten.“
       „Gibt es außer einem Rückzug noch andere Vorschläge?“ fragte Steergard. „Nein?
       Wer ist für das Projekt Harrachs?“
       Polassar, Tempe, Harrach, El Salam und Rotmont hoben die Hand. Nakamura zögerte, dann folgte er ihrem Beispiel. „Seid ihr euch darüber klar, daß sie vor dem Termin eine Antwort geben können, aber nicht mit Signalen?“ fragte Steergard.
       Sie saßen zu zehnt um die Platte, die wie ein großer Mittelfußtisch auf dem Gebälk der Träger stand, die den oberen Gravitationssteuerraum von der darunter liegenden Navigationszentrale trennten. Diese war jetzt leer, über den entlang der Wände angebrachten Pulten flimmerten bald stärker, bald schwächer die Monitore und erfüllten den Raum mit wechselndem Licht und Schatten.
       „Das ist durchaus wahrscheinlich“, ließ sich Tempe vernehmen. „Ich kann Latein nicht so gut wie Pater Arago. Wäre ich hierhergeflogen, weil mir nichts anderes einfiel, hätte ich nicht mit ja gestimmt. Aber wir sind hier nicht einfach nur zehn Raumfahrer. Wenn der HERMES nach all den Bemühungen um einen friedlichen Kontakt angegriffen worden ist, so bedeutet dies, daß ein Angriff gegen die Erde erfolgt ist, denn diese hat uns hierhergeschickt. Deshalb hat die Erde das Recht, durch uns zu sagen: Nemo me impune lacessit.“

XII
Der Paroxysmus
       Siderale Operationen als Erscheinungen von astronomischer Dimension können wegen der bei ihnen freigesetzten Gewalten für den Beobachter kein so tiefgreifendes und er-schütterndes Erlebnis sein wie eine Überschwemmung oder ein Wirbelsturm.
       Schon ein Erdbeben, ein in stellarem Maßstab submikroskopischer Vorfall, überschreitet die Aufnahmefähigkeit der menschlichen Sinne. Wirkliches Grauen wie auch überwältigendes Entzücken wecken im Menschen die Ereignisse, die weder zu gigantisch noch zu geringfügig sind. Ein Stern läßt sich nicht erleben wie ein Stein oder ein Brillant. Der kleinste Stern schon, ein Ozean von Ozeanen ewiger Glut, wird bereits in einer Entfernung von einer Million Kilometern zu einer das Gesichtsfeld ausfüllenden Feuerwand, und in der Annäherung verliert er jegliche Gestalt, zerfällt in chaotische Wirbel gleichermaßen blendender Flammen. Nur aus großer Ferne schrumpfen die kühleren Trichter der Chromosphäre zu Sonnenflecken. Diese selbe Regel übrigens, die das Erleben der Größe vereitelt, wirkt auch unter den Menschen selbst. Man kann mit einem Individuum, einer Familie mitfühlen, die Vernichtung von Tausenden oder gar Millionen Geschöpfen verschließt sich in den Zahlen einer Abstraktion, deren existen-tieller Gehalt sich nicht erfassen läßt.
       Daher ist die durch Kavitation erfolgende Zertrümmerung eines Himmelskörpers, eines Planeten oder Mondes, ein seltsam bescheidenes Schauspiel, das nicht nur mit schläfriger Langsamkeit abrollt, sondern durch den lautlosen und trägen Verlauf künstlich und vorgetäuscht erscheint, zumal man es, um bei der Beobachtung nicht umzukommen, durch ein Teleskop oder auf dem Bildschirm betrachten muß. Die Sideralchirurgen beobachten die fortschreitende Explosion durch Filter, die nacheinander vor die Öffnung der Objektive geschoben werden, damit man genau die einzelnen Phasen des Zerfalls verfolgen kann. Infolgedessen macht das selektiv in den monochromatischen Streifen des Spektrums betrachtete,

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