Fiasko
die Vermutung zustande, es handle sich um die Überreste von Millionen Lebewesen, die vor oder nach dem Tod radioaktiv verseucht worden sein mußten — ein beträchtlicher Prozentsatz des Kalziums war nämlich dessen Isotop, das nur in den Skeletten strahlenbelasteter Wirbeltiere entsteht. Diese Entdeckung, die zwar lediglich ein unsicheres Indiz bot, ließ bei ihrer ganzen Grausigkeit doch auch ein Quentchen Zuversicht zu. Bisher hatte man nicht wissen können, ob die Bevölkerung der Quinta aus lebenden Wesen oder womöglich aus nichtbiologischen Automaten, Erben einer erloschenen, ehemals lebendigen Zivilisation bestand. Die makabre Hypothese war nicht auszuschließen, daß der Rüstungswettlauf, nachdem das Leben ausgetilgt und in seinen Resten in Bunker und Höhlen verdrängt worden war, von den mechanisierten Erben fortgesetzt wurde. Ebendies hatte Steergard seit den ersten Zusammenstößen am meisten befürchtet, obwohl er über diese Konzeption nie auch nur ein Wort verlauten ließ. Er hielt einen Ablauf historischer Vorfälle für möglich, wo bei einer über Jahrhunderte reichenden Ausdehnung der Kampfhandlungen die lebendigen Streitkräfte durch Maschinen ersetzt werden — nicht nur, wie man sich bereits überzeugen konnte, im All, sondern auch auf dem Planeten selbst. Kriegsautomaten, die keinen Selbsterhaltungstrieb besaßen und für den Kampf bis zur Selbstvernichtung vorgesehen waren, würden sich nicht so leicht dazu bringen lassen, Verhandlungen mit einem kosmischen Eindringling zu führen. Selbsterhaltung sollte das Ziel der Militärstäbe zwar selbst dann sein, wenn sie voll computerisiert sind, aber mit der ausschließlichen Direktive, im Laufe der strategischen Aktivitäten die Vorherrschaft zu erringen, würden auch sie sich nicht in die Rolle von Gesprächspartnern drängen lassen.
Die Chance hingegen, als Lebewesen mit einem anderen Lebewesen übereinzukommen, stand höher als Null, aber der Optimismus, der sich aus der Prüfung der Spinogramme, der möglichen Diagnostizierung einer Hekatombe, dem aus dem Verhältnis des Kalziums zu seinem Isotop ableitbaren Schluß auf Skelette beziehen ließ, war eher bescheiden — und doch auch mehr als nur ein frommer Wunsch. Unter dem Vorbehalt, es handle sich meist nur um Vermutungen, bereitete Nakamura die kritischen Aufnahmen mit Erklärungen auf, die Piloten und der Kommandant hörten ihm zu. Mitten hinein schnurrte der Intercom. Steergard nahm den Hörer ab und meldete sich. Die anderen hörten jemanden sprechen, ohne die Worte unterscheiden zu können.
Als es im Hörer still wurde, schwieg sich auch Steergard eine Weile aus, ehe er sagte: „Schön. Jetzt gleich? Bitte sehr, ich warte.“ Er legte auf, wandte sich zu den anderen um und sagte: „Arago.“
„Sollen wir gehen?“ fragte Tempe.
„Nein, nein. Bleibt hier.“ Und wie gegen seinen Willen entrang sich seinen Lippen der Satz: „Zu einer Beichte wird das nicht werden.“
Der Dominikaner erschien ganz in Weiß, aber nicht im Ordenskleid. Er trug einen langen weißen Pullover, darunter aber — die dunkle Schnur, die sich von seinem Hals schlang, ließ es erkennen — das Kreuz. Als er der Versammelten ansichtig wurde, blieb er an der Schwelle stehen. „Ich wußte nicht, daß Sie eine Beratung abhalten, Astrogator…“
„Bitte nehmen Sie Platz, Hochwürden. Das ist keine Beratung, Die Zeit parlamentarischer Debatten und Abstimmungen ist vorbei.“ Das schien Steergard selber allzu obsessioneil geklungen zu haben, denn er setzte hinzu: „Mein Wille war es nicht, aber die Tatsachen sind härter als meine Wünsche. Setzt euch mal alle hin.“
Sie folgten der Aufforderung, denn sie war, obgleich mit einem Lächeln ausgesprochen, ein Befehl. Der Mönch war eigentlich auf ein Gespräch unter vier Augen vorbereitet gewesen, vielleicht hatten ihn auch Steergards Worte durch ihren kategorischen Klang betroffen gemacht.
„C'est le ton qui fah la chanson“, sagte der Astrogator, der die Ursachen für Aragos Zögern erriet. „Nur habe nicht ich diese Musik komponiert. Freilich, ich habe es versucht — pianissimo.“
„Und mit den Posaunen von Jericho nahm es ein Ende“, versetzte der Mönch. „Aber wollen wir es dieser musikalischen Periphrasen nun nicht genug sein lassen?“
„Selbstverständlich. Ich habe nicht die Absicht, mich im Kreise zu drehen. Vor einer Stunde ist Rotmont bei mir gewesen, und ich kenne den
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