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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Deutung: der sogenannten Soziolyse. Danach versehrt eine Gesellschaft, die in die Epoche der technologischen Beschleunigung eintritt, zuerst die Lebensumwelt, die sie anschließend retten kann und will. Da diese konservatorischen Eingriffe sich jedoch als unzureichend erweisen, wird die Biosphäre aus Bedürfnis wie aus Notwendigkeit durch Artefakte ersetzt, es entsteht eine total umgestaltete Umwelt, die aber nicht künstlich im Sinne der menschlichen Auffassung dieses Terminus ist. Für die Menschen ist künstlich, was sie selber gefertigt haben; natürlich bleibt das Unberührte oder nur Beherrschte wie das Wasser, das Turbinen treibt, oder der Ackerboden, der landwirtschaftlichen Eingriffen unterzogen wird. „Oberhalb des Fensters“ hört dieser Unterschied auf zu bestehen. Da alles „künstlich“ wird, ist nichts mehr „künstlich“. Produktion, Intelligenz, Forschung unterliegen einer „Verpflanzung“ in die gesamte Umwelt; die Elektronik oder ihre unbekannten Pendants und Ausblühungen treten an die Stelle von Institutionen, gesetzgebenden Körperschaften, Verwaltungen, Schul-und Gesundheitswesen, die ethnische Identität nationaler Zusammenballungen schwindet, desgleichen verschwinden Grenzen, Polizei, Gerichte, Universitäten und Gefängnisse. Es kann zu einem „sekundären Höhlenzeitalter“ kommen: zu allgemeinem Analphabetismus und Nichtstun. Man braucht, um sein Auskommen zu haben, nichts mehr zu können.
       Wer einen Beruf haben will, darf das natürlich, denn jeder kann tun und lassen, was er will. Eine Stagnation braucht das nicht zu bedeuten: Die Umwelt ist gehorsamer Fürsorger und kann sich in dem ihr möglichen Maße den Wünschen und Forderungen entsprechend umgestalten. Geschieht das aber so, daß sich der „Fortschritt“ vollzieht? Das können wir nicht beantworten, da wir selber dem Konzept des „Fortschritts“ in der Geschichte keine identische Bedeutung zugeschrieben und jeweils vom Standpunkt des historischen Augenblicks aus geurteilt haben. Darf man von „Fortschritt des Wissens“ in einer Situation sprechen, da die Spezialisierung jede Erkenntnisarbeit, jede konstruktive, intellektuelle, schöpferische Tätigkeit zersplittert, so daß in jedem Fach jedermann nur immer tiefer auf einem immer kleineren Feld gräbt? Wozu soll ein lebendiges Wesen rechnen können, wenn das Maschinen viel schneller und besser machen? Wozu soll man den Acker bestellen, Mehl mahlen und Brotbacken, wenn photosynthetische Systeme eine viel abwechslungsreichere und gesündere Kost produzieren als die Bauern, Bäcker, Köche und Konditoren? Warum nun schickt eine in solcher Soziolyse stehende Gesellschaft nicht in alle Himmel Rezepte für die eigene Vollkommenheit und Bequemlichkeit? Wozu aber sollte sie das tun, da es sie als eine Gemeinschaft des ungesättigten Hungers der Mägen und Hirne überhaupt nicht mehr gibt?
       Es entsteht gewissermaßen eine große Masse von Individuen, unter denen sich schwerlich eines finden dürfte, das es als Lebensaufgabe ansähe, dem Kosmos Signale über sein wertes Befinden zukommen zu lassen. Die künstliche Umwelt wird unweigerlich mit solchem ingenieurtechnischen Bedacht angelegt, daß sie nicht die Merkmale einer planetaren „Person“ erwerben kann. Diese künstliche Umwelt ist ein Niemand, nicht anders als eine Wiese, ein Wald oder eine Steppe, nur mit dem Unterschied, daß sie nicht um ihrer selbst willen blüht und gedeiht, sondern für jemanden, für irgendwelche Geschöpfe. Werden diese davon nicht verblöden und sich in stumpfsinnige Freßsäcke verwandeln, wenn sie nur faul die Spielchen spielen, die ihnen ihr planetarer Vormund vor die Nase hält? Nicht unbedingt.
       Das ist eine Frage des Standpunkts. Was für den einen Menschen ein Phantom oder Müßiggang ist, kann für einen anderen die Leidenschaft seines Lebens bedeuten.
       Wie viel mehr müssen uns dann die Maßstäbe und Kriterien fehlen, wenn wir andere Geschöpfe einer anderen Welt in Betracht ziehen, aus einer anderen Ära einer Geschichte, die ohnehin völlig unterschieden ist von der unseren…
       Nakamura und Lauger hingen einer kosmologischen Hypothese an. Wer das Universum erkennt, geht im Universum unter. Nicht daß er darin sein Leben verlöre — nein, der Aphorismus meint etwas gänzlich anderes. Astronomie, Astrophysik, Raumfahrt sind nur bescheidene, kleine Anfänge. Wir selbst haben bereits den nächsten Schritt vollzogen, denn wir beherrschen das Abc der

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