Fieber an Bord
Achterdecksreling. Die letzten schweren Regentropfen fielen auf Besatzung und Segel. Bald würde es wieder höllisch heiß werden. Er sah auf die nach oben gewendeten Gesichter im Geschützdeck hinab, auf die nackten Rücken der Toppsgasten, die in beiden Gangways bereitstanden, aufzuentern und die Bramsegel zu setzen, sobald der Befehl kam. Eine gute Mannschaft, dachte er. Eine so gemischte Gesellschaft wie das Publikum bei einem Wettkampf, aber deswegen in keiner Weise schlecht. Irgendwie hatten sie sich zusammengefunden. Gelernt, ihren Dienst hinzunehmen, wenn nicht damit einverstanden zu sein. Er hatte das Gefühl, daß er etwas sagen sollte, ihnen erklären, wieviel sie zu geben und ertragen hätten, wenn Bolitho recht behielt.
Hinter sich hörte er Schritte an Deck, und dann sagte Bolitho: »Anscheinend hat es eine Verzögerung gegeben, Mr. Herrick.«
Herrick sah ihm in die Augen, grau und fest, aber auch etwas anderes. Herausfordernd, oder war es bittend?
Er griff an seinen Hut. »Ich dachte, Sie würden eine Weile unten bleiben, Sir.«
Bolitho ließ seinen Blick langsam über die schweigenden Männer schweifen und das Schiff selbst, das sich leicht nach Backbord legte.
»Mein Platz ist hier.«
Er stützte seine Hände auf die Reling, spürte durch sie das Vibrieren des Schiffes, die nicht endende Botschaft, die es damit an jeden we itergab, der hören wollte. Er erinnerte sich an Violas Ausdruck, als er ihr erklärt hatte, wie ein Schiff sich verhielt und reagierte. Zunächst war er beinahe scheu gewesen wie ein Junge, als er ihr beschrieb, was für ihn der Alltag war. Und es hatte sie nicht gelangweilt, und sie hatte auch nicht nur höfliches Interesse gezeigt. Mit der Zeit hätte sie es mit ihm teilen können, fest verwachsen und so ausdauernd wie das alte Haus in Falmouth. Aber jetzt ... Abrupt sagte er: »Machen Sie weiter, Mr. Herrick. Nach oben mit den Leuten und Bramsegel setzen, bitte.«
Die Wanten und Webeleinen wurden von hetzenden Gestalten belebt, und die antreibenden Rufe der Unteroffiziere zerstörten die Stille und ließen die Seevögel kreischend über dem schäumenden Kielwasser der Tempest kreisen.
Bolitho begann in Luv auf- und abzugehen. Seine Anwesenheit war lebenswichtig, und für alle außer jenen, die ihn genau kannten, wirkte er äußerlich so ruhig wie immer.
Doch jeder Schritt war qualvoll, und obwohl rings um ihn seine Leute umherhasteten oder an den Pardunen herunterglitten, um andere Aufgaben zu erfüllen, während die Leinwand sich im Wind blähte und steif wurde, war Kapitän Richard Bolitho völlig für sich allein.
Die Tempes t machte rasche Fahrt nach Süden zu den Levu-Inseln, und obwohl sie keinem größeren Fahrzeug als gelegentlich einem Kanu begegneten, hatte Bolitho auf jeder Meile das Gefühl, daß sie beobachtet wurden.
Er wußte, daß die meisten der Schiffsbesatzung versuchten, Distanz zu wahren und seinem Blick auszuweichen. In vieler Hinsicht kam ihm diese Isolierung in einer dicht bevölkerten Welt gelegen, dennoch war ihm seine Verantwortung für sie bewußt. Besonders durch das, was vor ihnen lag. Morgen. Nächste Woche.
Von den Männern, deren Leben er in den Händen hielt, gefürchtet zu werden, war für ihn zutiefst abstoßend. Er bemerkte die Blicke, die täglich nach seiner Reaktion auf ihre Bedürfnisse forschten. Segel- und Geschützexerzieren. Arbeit in der Takelage oder an Deck, er wußte, daß sie ihm nachblickten, wenn er an ihnen vorbeigegangen war. Besorgt oder auch nur neugierig. Trotz seines Kummers neidisch auf die Privilegien, über die er im Vergleich zu ihrem spartanischen Dasein verfügte.
Am letzten Tag, als die Tempes t sich langsam der pilzförmigen Bucht näherte, Fock, Groß- und Besansegel aufgegeit und zwei Lotgasten in den Rüsten, beobachtete er, wie die Insel im frühen Licht Form annahm, und war sich seiner gemischten Gefühle deutlich bewußt.
Der Ausguck im Mast hatte bald nach Anbruch der Dämmerung Rauch gemeldet, und als das Licht über den buckligen Hügeln stärker wurde und auf dem Wasser Reflexe hervorrief, sah er wie eine tiefliegende, niedrige Regenwolke Qualm über die Bucht ziehen.
Herrick sagte: »Von der Siedlung her, so wie es aussieht, Sir.«
»Es hat den Anschein«, erwiderte Bolitho.
Wieder prüfte er seine Gefühle. Wünschte er, Raymond schon tot aufzufinden? Oder sah er in dem Rauch lediglich einen Beweis dafür, daß er recht hatte? In Bezug auf Tuke und die Narval , vor allem aber
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