Fieber - Horror
...«
Jorge zog Ynez ein Stück weit von der Glasscheibe zurück und deutete auf den immer größeren Fleck auf ihrer Jeans, sodass die Schwester ihn sehen konnte. »Sie blutet!«
»Wir können sie hier nicht aufnehmen.«
Jorge musste an die Muttergottes denken, die Jesus in einem Stall hatte zur Welt bringen müssen.
So lebten also die anderen, die Unterprivilegierten. Die Unversicherten.
Ynez weinte jetzt hemmungslos, und Jorge war so wütend und frustriert, dass er selbst kurz davor stand, in Tränen auszubrechen. Am liebsten hätte er einen der Stühle aus dem Warteraum genommen, hätte die verdammte Glasscheibe eingeschlagen und das Miststück erwürgt. Er zitterte am ganzen Leib, so heftig waren die Emotionen, die in seinem Innern tobten, doch als er den Mund wieder öffnete, brachte er nur ein einziges, flehentliches Wort heraus: »Bitte ...«
Die Krankenschwester wurde zugänglicher, und zum ersten Mal konnte Jorge sehen, dass sie ein Mensch aus Fleisch und Blut war, der hier lediglich seine Aufgabe verrichtete. »Ich rufe einen Krankenwagen«, sagte sie zu Jorge. Sie sprach sehr leise, und Jorge hatte den Eindruck, als täte die Schwester gerade etwas, das sie eigentlich nicht hätte tun dürfen. »Die werden Sie zum Waltzer-Krankenhaus fahren.«
Sofort tat ihm leid, was ihm eben noch durch den Kopf gegangen war. Es war ja nicht die Schuld dieser Frau. Sie machte auch nur ihre Arbeit, tat nur das, was man ihr auftrug. Sie war nur ein kleines Rädchen in der Maschine. Es war die Maschine selbst, die hier die Schuld hatte. Das System.
»Danke«, sagte er nur.
Neben ihm begann Ynez zu wimmern.
»Gehen Sie durch den Ausgang und dann nach rechts. Der Krankenwagen wird jeden Moment hier sein.«
Jorge nickte.
»Das wird schon wieder«, sagte die Krankenschwester zu Ynez. »Mit Ihrem Baby wird alles gut.«
Jorge wusste nicht, ob sie aus Erfahrung sprach, ob sie überhaupt Ahnung davon hatte oder ob sie das nur sagte, damit sie beide sich besser fühlten - und zumindest Jorge fühlte sich jetzt tatsächlich etwas besser. Er führte Ynez zur Tür. Einen Augenblick später kam auch schon der Krankenwagen um die Ecke des Gebäudes gefahren. Zwei Sanitäter öffneten die Hecktür. »Möchten Sie eine Trage?«, fragte der ältere der beiden.
Ynez schüttelte den Kopf.
»Da hinten sind auch Bänke. Schnallen Sie sich an, und halten Sie sich fest. Wir bringen Sie zum Waltzer-Krankenhaus.«
»Sind Sie Rettungssanitäter?«, fragte Jorge. »Meine Frau blutet. Können Sie kurz nachsehen, ob ... ob alles in Ordnung ist?«
»Tut mir leid, Sir.«
Die Hecktür wurde wieder geschlossen, und sie waren allein, als die beiden Sanitäter zur Fahrerkabine des Krankenwagens eilten. Die Warnleuchten und die Sirene wurden eingeschaltet, und dann jagten sie auch schon los. Durch das Heckfenster sah Jorge seinen Wagen, der immer noch auf dem Zwanzig-Minuten-Parkplatz stand, und fragte sich, ob er sich wohl einen Strafzettel einfangen würde. Oder wie sie wieder zurückkommen sollten.
Kleinigkeiten, sagte er sich dann. Das konnten sie sich später immer noch überlegen. Jetzt war erst einmal wichtig, dass sie so schnell wie möglich zu diesem Krankenhaus kamen und dafür sorgten, dass das Kind gesund und ohne Komplikationen zur Welt kam.
Der Krankenwagen jagte durch die Straßen der Stadt, überfuhr mindestens zwei rote Ampeln, und in bemerkenswert kurzer Zeit erreichten sie ihr Ziel. Jorge hatte keine Ahnung, wo dieses Krankenhaus lag - der Blick durch die Heckscheibe des Rettungswagens verwirrte ihn nur -, doch als die Sanitäter die Hecktüren öffneten, stellte er dankbar fest, dass sie genau vor dem Eingang der Notaufnahme standen und bereits ein Pfleger mit einem Rollstuhl angelaufen kam, um Ynez hineinzubringen.
Gemeinsam mit dem Pfleger half Jorge ihr in der Rollstuhl, und zu dritt eilten sie durch die seufzenden Schiebetüren des Krankenhauses, geradewegs in die Notaufnahme. Entweder hatte die Krankenschwester von der Aufnahme des Desert Regional Hospital bereits hier angerufen, oder einer der Sanitäter aus dem Rettungswagen hatte Ynez über Funk angekündigt und die Lage geschildert, denn als der Pfleger den Rollstuhl in die Notaufnahme schob, öffneten sich schon die Türen eines weiteren Ganges. Als Jorge sich erkundigte, wohin sie denn nun gebracht würden, erklärte der Pfleger, Ynez käme in die Entbindungsstation.
Ynez stieß einen schrillen Schrei aus.
»Was ist?« Jorge war verängstigter, als er es
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