Fieber - Horror
angewöhnt, den Wecker zu stellen, wenn sie zu einer bestimmten Zeit irgendetwas erledigen musste.
An diesem Tag musste sie zum Zahnarzt.
Auch wenn sie die ganze Zeit gewusst hatte, dass der Besuch unbedingt anstand, dass sie sich regelmäßig hätte untersuchen lassen und die Zähne reinigen müssen, hatte sie es so lange schleifen lassen, dass sie letztendlich Angst vor dem Besuch beim Zahnarzt bekommen hatte, weil sie befürchtete, sie könne Löcher haben oder eine Wurzelbehandlung brauchen oder irgendeine unschöne Behandlung à la Marathon-Mann über sich ergehen lassen müssen. Doch die Schmerzen im Zahnfleisch waren so schlimm geworden, dass es höllisch wehtat, wenn Beth in der linken Mundhälfte etwas kaute, und schließlich hatte Hunt sie überredet, sich doch untersuchen zu lassen.
Einen Haus-Zahnarzt hatte Beth nicht, also hatte sie die Kundendienstnummer angerufen, die auf ihrer Versichertenkarte stand, und den Namen und die Telefonnummer eines mit dieser Versicherung zusammenarbeitenden Zahnarztes in Erfahrung gebracht. Das war vor fast drei Wochen gewesen. Sie hatte versucht, einen früheren Termin zu erhalten, hatte der Sprechstundenhilfe Ausmaß und Schwere ihrer Schmerzen geschildert, hatte darauf hingewiesen, dass es wirklich ein Notfall sei und dass sie dringend Hilfe benötige, doch die Frau hatte beharrlich erklärt, der Arzt sei völlig ausgebucht, und sie könne Beth unmöglich dazwischenschieben; ein Besuch sei frühestens Ende des Monats möglich.
Beth wusch die Tomaten ab, legte sie zum Trocknen auf die Arbeitsplatte und machte sich daran, sich umzuziehen und die Zähne zu putzen. Seit sie diesen Termin vereinbart hatte, putzte sie sich fast wie besessen die Zähne - mindestens dreimal am Tag, manchmal sogar bis zu sechsmal -, als könne intensive Zahnpflege auf die letzte Minute Jahre der Achtlosigkeit wiedergutmachen und das Problem lösen.
Also putzte Beth sich die Zähne, verwendete Zahnseide und gurgelte mit Listerin; dann ging sie ins Schlafzimmer und sah in ihrer Handtasche nach, ob sie ihre Versichertenkarte und genug Geld für die Zuzahlung eingesteckt hatte.
Die Praxis des Zahnarztes befand sich nicht in einem Medi-Zentrum oder einem Bürokomplex, sondern in einem umgebauten Lehmziegelhaus. In der Gegend war eine ehemalige Wohnstraße zu einer Einkaufsstraße aus- und umgebaut worden, und aus vielen einstigen Wohnhäusern waren Geschäftshäuser geworden: Es gab einen Innenausstatter, einen Steuerberater, sogar ein Café. Die Fassade der Zahnarztpraxis sah immer noch aus wie die eines normalen Wohnhauses, doch das Innere war vollständig umgestaltet worden und hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit einer Wohnung. Es gab ein erstaunlich großes Wartezimmer, in dem ein Meerwasser-Aquarium voller Fische in schillernden Farben stand. Hinter der Glasscheibe eines Schiebefensters sprach die Sprechstundenhilfe gerade am Telefon mit einem offenbar hartnäckigen Patienten, der unbedingt einen Termin zu einem völlig unmöglichen Zeitpunkt haben wollte. Außer Beth saß niemand im Wartezimmer, doch hinter einer geschlossenen Tür, gleich neben dem Fenster zur Anmeldung, hörte Beth das unverkennbare, schrille Kreischen eines Bohrers, der sich tief in Zahnschmelz fraß.
Beth ging zum Fenster und unterschrieb ihre Papiere; dann setzte sie sich auf eines der gelben Kunstledersofas, die entlang der Wand aufgestellt waren. Auf dem Tisch neben sich sah sie einen Stapel Hochglanzzeitschriften: Maxim, Details und FHM. Das war nicht gerade das, was man üblicherweise in einer Zahnarztpraxis vorfand, doch Beth nahm sich dennoch etwas zu lesen und überflog einen Artikel über Websites aus der Fetisch-Szene.
»Mrs. Jackson?«
Beth war immer noch nicht daran gewöhnt, jetzt mit Hunts Nachnamen angesprochen zu werden, und auch wenn sie die Stimme der Sprechstundenhilfe hörte, begriff sie nicht sofort, dass sie gemeint war.
»Mrs. Jackson?«, wiederholte die Sprechstundenhilfe ein wenig lauter.
Schnell legte Beth das Magazin zur Seite und erhob sich; das Ganze war ihr peinlich. Eine Arzthelferin hielt ihr die Tür auf; in der Hand hielt sie Beths Karteikarte. »Hier entlang, bitte«, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln.
Beth folgte der jungen Frau, ging am Schreibtisch der Sprechstundenhilfe vorbei und einen kurzen Flur hinunter, der zu einem kleinen Behandlungszimmer führte. Dort zwängte sie sich in den Behandlungsstuhl und ließ sich eine Wachspapierserviette auf die Brust legen.
Weitere Kostenlose Bücher