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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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deutlich zu erkennen, daß es nicht lange dabei bleiben würde. Die Fiebertraum stürmte vorwärts, wie sie es seit Monaten nicht mehr getan hatte, beide Schaufelräder drehten sich mit Höchstgeschwindigkeit, die Schornsteine knatterten, und die Decksbohlen schwangen im Rhythmus der stampfenden Maschinen darunter. Während Billy dem anderen Boot nachschaute, schien der Abstand zwischen den beiden Schiffen dahinzuschmelzen; die Fiebertraum fraß den Fluß regelrecht auf. Julian würde praktisch jeden Augenblick vor Marsh stehen. Sour Billy Tipton freute sich schon darauf, ja, er war richtig begierig, das zu erleben.
    Dann befahl Joshua York, das Steuerbordrad zu bremsen, und begann am Ruder zu drehen.
    »He!« protestierte Billy. »Sie lassen sie ja entkommen! Was tun Sie da?« Er griff sich in den Nacken, zog das Messer hervor und schwang es drohend hinter Yorks Rücken. »Was soll das?«
    »Ich überquere den Fluß, Mister Tipton«, antwortete York knapp.
    »Drehen Sie das Rad ruhig zurück. Marsh will gar nicht auf die andere Seite, soweit ich sehen kann, aber dafür wächst sein Vorsprung.« York achtete nicht auf den Befehl, und Billy geriet noch mehr in Wut. »Umkehren, hab’ ich gesagt!«
    »Vor ein paar Sekunden sind wir an einem Bach mit einem abgestorbenen Cottonwood in der Mündung vorbeigekommen. Das ist die Markierung. Bei diesem Zeichen muß ich rüber. Wenn ich weiter geradeaus laufen würde, geriete ich aus der Fahrrinne und würde auflaufen und uns alle versenken. Nicht weit vor uns erstreckt sich ein Felsenriff, nicht so hoch, daß es aus dem Wasser ragt, aber hoch genug, um uns den Bauch aufzuschlitzen. Ist es nicht so, Mister Framm?«
    »Ich hätte es nicht besser erklären können.«
    Sour Billy blickte sich argwöhnisch um. »Ich glaube Ihnen nicht«, sagte er. »Marsh hat nicht den Fluß überquert, und seinem Schiff wurde der Boden nicht aufgerissen, jedenfalls habe ich davon nichts bemerkt.« Er hielt drohend das Messer hoch. »Sie lassen ihn jedenfalls nicht entkommen«, sagte er. Die Eli Reynolds hatte bereits weitere vierzig Meter Vorsprung vor der Fiebertraum herausgefahren. Erst jetzt begann der Dampfer leicht nach Steuerbord hinüberzuziehen.
    »Ein armseliger Kahn«, sagte Karl Framm voller Verachtung. »Teufel auch, dieser kleiner Heckpaddler, hinter dem wir her sind, hat doch so gut wie keinen Tiefgang. Nach einem anständigen Regen könnte man damit quer durch halb New Orleans dampfen, ohne zu merken, daß man längst den Fluß verlassen hat.«
    »Abner ist nicht dumm«, sagte Joshua York, »und sein Lotse auch nicht. Sie wußten genau, daß das Riff viel zu tief liegt, um ihnen gefährlich werden zu können, selbst bei diesem Flußpegel. Sie sind genau drübergedampft und haben gehofft, daß wir ihnen folgen und absaufen. Günstigstenfalls hätten wir bis zum Morgengrauen festgehangen. Begreifen Sie jetzt endlich, Mister Tipton?«
    Sour Billy zog ein finsteres Gesicht und kam sich plötzlich vor wie ein Narr. Er steckte sein Messer weg, und während er das tat, lachte Karl Framm. Es war zwar nur ein leises Kichern, aber es war laut genug, so daß Sour Billy es sehr wohl hörte. Er fuhr herum. »Schnauze, oder ich ruf’ die Frauen!« Danach war es an ihm, spöttisch zu grinsen.
    Die Eli Reynolds hatte eine Landzunge umrundet, doch ihr Qualm hing noch in der Luft, und man konnte jenseits des schmalen Waldstreifens ihre Lichter erkennen. Sour Billy starrte diese Lichter schweigend an.
    »Warum ist es Ihnen eigentlich so wichtig, ob Abner entkommt?« fragte York leise. »Was hat dieser Kapitän Ihnen getan, Mister Tipton?«
    »Ich habe für Warzen nichts übrig«, erklärte Billy kalt, »und Julian will ihn haben. Ich tue nur, was Julian will.«
    »Was täte er ohne Sie?« bemerkte Joshua York. Sour Billy gefiel der Ton nicht, in dem das gesagt wurde, aber ehe er dagegen protestieren konnte, fuhr York schon fort: »Er benutzt Sie, Billy. Ohne Sie wäre er ein Nichts. Sie denken für ihn, handeln für ihn, beschützen ihn bei Tag. Sie machen ihn zu dem, der er ist.«
    »Jawohl«, sagte Billy stolz. Er wußte, wie wichtig er war. Ihm gefiel das sehr gut. Noch besser war es auf dem Dampfer. Ihm gefiel der Posten als Maat. Die Nigger, die er gekauft, und der weiße Abschaum, den er angeheuert hatte, hatten alle Angst vor ihm; sie redeten ihn mit ›Mister Tipton‹ an und beeilten sich, zu tun, was er von ihnen verlangte, ohne daß er einmal die Stimme erheben oder sie drohend

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