Film ab im Internat
Hintergrund einer blühenden Landschaft mit einem hübschen Einfamilienhaus samt efeuumranktem Carport strahlt eine glückliche Fernsehfamilie um die Wette: Mutter, Vater, zwei niedliche Kinder, eine Vorzeige-Oma und ein großer Hund. Alle mit strohblonden Haaren, perlweißen Zähnen und einem bemerkenswert frischen Teint, wie Carlotta auf den ersten Blick feststellt. Bis auf den Hund natürlich, ein ausgesprochen freundlich aussehender Labrador. Seine rosa Zunge hängt ihm seitlich aus dem Maul.
Sie schnaubt verächtlich. „So einen Schwachsinn guck ich mir nicht an!“
„Nicht?“, fragt Manu unschuldig. „Ich dachte, das ist genau dein Niveau!“
Carlotta wirft ihr ein paar Gummibärchen an den Kopf.
„Ich kenne das Serienfernsehen!“, ruft Sofie begeistert. „Das gibt es auch bei uns in Belgien!“
„Es heißt Fernsehserie“, korrigiert Carlotta sie freundlich. Obwohl Sofie sehr gut Deutsch spricht und trotz ihrer belgischen Herkunft nur einen winzigen Akzent hat, kommt es ab und zu vor, dass sie Wörter oder deren Sinn verdreht. Carlotta und Manu haben sich in ihrer gemeinsamen Internatszeit daran gewöhnt und verbessern sie nur noch selten.
„Also, ich steh auf Bella“, beharrt Manu. „Obwohl die Reihe an sich ziemlich blöd ist.“
„C’est vrai“, nickt Sofie. „Das stimmt.“
„Wer ist denn diese Bella?“ Carlotta runzelt die Stirn und beugt sich vor. „Die Mutter, die Tochter oder die Oma? Lasst mich raten … Ich tippe auf die Tochter.“
„Falsch“, grinst Manu. „Es ist der Hund!“
Sofie lächelt wissend.
Carlotta legt den Kopf in den Nacken, öffnet den Mund und wirft ein Gummibärchen hinein. „Komisch. Ich hätte gewettet, das ist ein Rüde.“ Sie schüttelt den Kopf und kaut. „Oh Mann … Was macht dieser Wunderhund denn so Tolles, dass der eine eigene Fernsehserie hat?“
„Er, beziehungsweise sie, rettet andere Tiere“, erklärt Manu so stolz, als wäre sie selbst daran beteiligt. „In jeder Folge gerät ein Tier in Not und –“
„– und die tapfere Bella rettet es“, vollendet Carlotta den Satz. „Schon klar.“
„Genau“, nickt Sofie. „Sie ist eine echte Heldin!“
Carlotta kichert und widmet sich wieder ihren Aufnahmen. Seit kurzem beschäftigt sie sich mit Stop-Motion-Filmen, in denen ihre absoluten Lieblingstiere die Hauptrolle spielen: Gummibärchen.
Bei der Stop-Motion-Technik, das hat sie in der Film- und Foto-AG gelernt, werden Objekte animiert, indem sie für jedes einzelne Bild des Films immer nur geringfügig bewegt werden. Eine echte Geduldsarbeit, die ihr aber unheimlich viel Spaß macht.
Angefangen hat sie mit den Playmobilmännchen ihrer kleinen Brüder. Dann ist sie zur Knetmasse übergegangen und hat eigene Figuren entworfen und geformt. Doch das hat sich als zu umständlich und zeitaufwendig herausgestellt – und außerdem hat Manu ihr ständig über die Schulter gelugt und behauptet, ihre Knetmännchen würden wie überfahrene Weihnachtszwerge aussehen. Carlotta hatte daraufhin die geniale Idee, ihre Kurzfilme mit Gummibärchen zu realisieren.
Wieso ist sie nicht schon früher darauf gekommen? Die Gummibärchenfotografie gehört immerhin schon seit der fünften Klasse zu ihren Lieblingsbeschäftigungen!
„Mit einfachen Mitteln Geschichten erzählen und kreativ sein“, betont Herr Frankenberg, der AG-Leiter, immer. „Das ist Kunst!“
Stimmt, denkt Carlotta und lässt sich genüsslich noch ein weißes Gummibärchen auf der Zunge zergehen.
„Ich schätze, du bist die einzige Regisseurin, die ihre Schauspieler nach Drehschluss auffuttert“, grinst Manu. Sie hat Bella weggeklickt und ist wieder auf ihrer Süßigkeitenseite gelandet. „Soll ich dir eine Ladung neue Darsteller bestellen? Ich hab ein Kundenkonto bei Candyheart . Bei einer Sammelbestellung krieg ich zehn Prozent Rabatt.“
„Ja, mach mal“, nickt Carlotta. „Eine große Familientüte bitte. Oder lieber gleich zwei. Das Geld geb ich dir später.“
Nach der Stillstunde machen sie sich gemeinsam auf den Weg zum Nachmittagsunterricht. Drei blonde Mädchen stelzen in dem langen Gang vor ihnen her. Die Köpfe zusammengesteckt, tuscheln sie leise miteinander und schütteln dabei so synchron ihre Haare, die ihnen in seidigen Wellen bis über die Schultern fallen, als hätten sie es einstudiert.
„Ach nee, unser Paris-Hilton-Fanclub“, grinst Manu. Sie tippt einem der Mädchen von hinten auf die Schulter und fragt wie eine Reporterin: „Hallo, liebe
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